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Die Thore der Festung Hamburg sollten grade geschlossen werden, da sahen die erstaunten Wächter und Hellebardierer im Steinthore, einen schwerbewaffneten Kriegsmann auf schaumbedecktem Rosse hereinsprengen, als ob Tod und Teufel hinter ihm drein seien, vor ihm ein wunderschönes todtblasses Fräulein, das ohnmächtig an seiner Brust ruhte, und ihn mit den Armen umschlungen hielt, – und ehe sie sich besannen, waren Roß und Reiter in den dunkeln Straßen der Stadt verschwunden, so daß sie fast eine Erscheinung erblickt zu haben glaubten. Und als 5 Minuten später der alte Graf mit seinen Reisigen herangebraus’t kam, da fanden sie das Thor schon geschlossen, und wenn das damals geschehen war, so wurde vor Anbruch des nächsten Tages Niemand weder ein- noch ausgelassen. Die Verfolger mußten also vorläufig vom weiteren Nachsetzen abstehen, gedachten aber am andern Morgen die Flüchtlinge mit Hülfe des Gerichts desto sicherer zu fangen, da sie nun im Käfig darinnen saßen, und nicht heraus konnten. Die waren aber schon in Sicherheit, wo ihnen kein zorniger Vater mit seinen Reisigen, kein weltlich Gericht mit Häschern und Schergen etwas anhaben konnte.

Als der Oberst nämlich mit seiner holden Beute die Steinstraße heraufgesprengt war und an den Dom kam, da entsann er sich, daß die Domkirche das Asylrecht habe, nämlich eine Freistätte sei, wo jeder hineingeflüchtete Verfolgte völlig unangefochten weilen könne. Solche Ruhe auf der Flucht winkte ihm einladend, und da er die große Thüre beim Reventer offen sah, stieg er mit seiner schönen Geliebten vom Pferde, dem er einen Schlag gab, daß es weiter lief. Dann trat er, die ohnmächtige Gräfin auf den Armen tragend, zu den Dom hinein. Es mochten wohl zu der späten Abendstunde grade wenig Menschen auf dem Speersort gewesen sein, da’s kein Aufsehen gemacht hat, wie er gekommen und in den Dom gewichen ist.

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Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_292.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)