Seite:De Bracke (Klabund) 235.jpg

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stand, sein Auge aber einen Moment vom Pergament hinaus durch das Gitter abirrte, schrak er zusammen. Denn er hatte Nadya, das schönste Mädchen der Stadt, einer Wendin und eines Schiffers Tochter, draußen in der Morgensonne über die Wiese gehen sehen – um deretwillen sich die Schiffer und Landsknechte mit ihren Messern Flüche in die Rippen stießen – und dennoch keiner von ihnen sich auch nur der leisesten Gunst Nadyas rühmen durfte.

Bracke stand vom Schemel auf und begann ruhelos die enge, dumpfe Zelle zu durchwandern.

Seufzend ging er wieder an seine Arbeit. Aber wie er den Apostel Paulus als Initiale recht schön in Rot, Blau und Gold vollendet hatte: lächelte ihm aus der blauen Kutte des Heiligen Nadyas goldenes Gesicht entgegen.

Bracke betete die Nacht durch – aber die Nacht war sinnlich wie Frühlingsnächte zuweilen sind, in denen schon der Sommer zittert. Mit Gewalt drängte sich die Erinnerung an Nadya auf, an ihren Gang, an ihr Gesicht, an ihre Hände.

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Klabund: Bracke, Berlin 1925., Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Bracke_(Klabund)_235.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)