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entgegensetzt, so sehen wir Knochenerde als weisses Pulver zu Boden fallen; es entsteht, wie man sagt, ein Niederschlag.

In dieser Weise benutzt der Chemiker die ungleiche Löslichkeit der Körper in verschiedenen Flüssigkeiten, ihr Verhalten in der Wärme, als mächtige Mittel zur Scheidung, zur Analyse. Alle Mineralien ohne Ausnahme lassen sich durch geeignete Wahl in Flüssigkeiten auflösen; indem er nun durch Zusatz von andern Materien die Natur der Flüssigkeit ändert, wechselt damit die Löslichkeit der Bestandtheile des Minerals in dieser Flüssigkeit, und es gelingt ihm auf diese Weise, einen nach dem andern daraus zu scheiden. Dies ist der eine Weg, der Analyse; der andere besteht darin, dass man der Auflösung einer Verbindung, welche fünf, sechs und mehr Bestandtheile enthält, nach und nach verschiedene andere Substanzen zusetzt, die mit einem oder dem andern der Bestandtheile eine unlösliche Verbindung eingehen. Dies geschieht in einer gewissen Reihenfolge, und zwar so, wie wenn die Bestandtheile in verschiedenen Fächern lägen, zu deren Oeffnung man eben so viele verschiedene Schlüssel braucht.



Sechster Brief.


Bei diesen Zersetzungen und Verbindungen liegt die Frage ganz nahe, wie viel man von einem Körper nöthig hat, um mit einem zweiten eine chemische Verbindung hervorzubringen, wie viel man von einem dritten Körper braucht, um einen Bestandtheil aus dieser Verbindung abzuscheiden und durch diesen dritten zu vertreten.

Alle diese Fragen sind auf das Erschöpfendste beantwortet. Man kennt genau die Mengenverhältnisse, in denen sich die Körper verbinden, so wie die Gewichtsverhältnisse, in welchen sie sich in chemischen Verbindungen vertreten.

Eine chemische Verbindung ist dadurch charakterisirt, dass das Gewichtsverhältniss ihrer Bestandtheile unveränderlich ist; darin liegt eben ihre Verschiedenheit von einem Gemenge, in dem die Bestandtheile in veränderlichen und unbestimmten Verhältnissen zugegen sind. In dem Folgenden sind die Gewichtsverhältnisse der Bestandtheile einiger chemischen Verbindungen in Procenten angegeben.

Wasser Salzsäure Kohlenwasserstoff
enthält
Sauerstoff 88,89; Chlor 97,76; Kohlenstoff 85,71
Wasserstoff  11,11; Wasserstoff   2,24; Wasserstoff  14,29
100,00 100,00 100,00
Schwefelwasserstoffsäure. Jodwasserstoffsäure.
Schwefel 94,19; Jod 99,21
Wasserstoff    5,81; Wasserstoff    0,79
100,00 100,00


Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)