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aus der Flüssigkeit heraus und waschen ihn mit etwas reinem Wasser ab, so zeigt es sich, dass in dem Kochsalzkrystall kein Salpeter enthalten ist: auf der andern Seite enthalten die Salpeterkrystalle kein Kochsalz. Wenn man nun erwägt, dass beide Krystalle sich gleichzeitig in einer und derselben Flüssigkeit bilden, so folgt von selbst aus der Beschaffenheit der Krystalle, dass die Kochsalztheilchen, indem sie sich zu einem Krystalle vereinigten, nur Kochsalztheilchen, die Salpetertheilchen nur Salpetertheilchen anzogen und dadurch an Grösse zunahmen. Zuletzt, wenn alles Wasser verdampft ist, hat man ein inniges Gemenge von Kochsalz und Salpeter, aber jeden einzelnen Kochsalzkrystall dennoch gesondert von den einzelnen Salpeterkrystallen.

Ganz anders verhält es sich mit Bittersalz und Nickel- oder Zinkvitriol; wenn beide aus einer und derselben Flüssigkeit krystallisiren, so beobachtet man keine Trennung von Zinkvitriol- und Bittersalzkrystallen, sondern die gebildeten Krystalle enthalten gleichzeitig Zinkvitriol und Bittersalz, oder Nickelvitriol und Bittersalz, und zwar in allen möglichen Verhältnissen, je nach der Menge, die von beiden Salzen in der Auflösung vorhanden war. Man sieht leicht ein, dass die sich abscheidenden Zinkvitriol- und Bittersalztheilchen eine Anziehung, und offenbar eine ganz gleiche, zu einander hatten, denn ein Bittersalzkrystall zog ja ein Zinkvitrioltheilchen ganz so an, wie wenn es ein Bittersalztheilchen gewesen wäre, und umgekehrt; es fand nicht, wie zwischen Kochsalz und Salpeter, eine Art Wahl statt.

Wenn man nun einen Nickelvitriolkrystall mit einem Bittersalzkrystall vergleicht, so zeigt es sich, dass beide einerlei Krystallgestalt besitzen. So sieht der Bittersalzkrystall aus wie weisser Nickelvitriol, der Nickelvitriol wie grünes Bittersalz; es ist in den Winkeln, Ecken und Kanten kein Unterschied wahrnehmbar. Da nun ein grosser Krystall aus einer Anhäufung von kleinen und kleinsten Krystallchen besteht, so muss nothwendig das letzte Nickelvitrioltheilchen die nämliche Gestalt haben, wie das allerletzte oder kleinste Bittersalztheilchen, oder, was das Nämliche ist, die Gruppe von Atomen, die zu einem Zink- oder Nickelvitriolatom zusammengetreten sind, hat die nämliche Form wie die Gruppe, aus der ein Bittersalzatom besteht; der Krystall, in welchem beide in und neben einander sich vereinigt befinden, besitzt die Gestalt, welche jeden seiner Bestandtheile (das Bittersalz, den Nickel- oder Zinkvitriol) charakterisirt.

Weitere Beobachtungen haben ergeben, dass die Gleichheit der Krystallformen zweier Körper nicht der einzige Grund ist, dass sie zusammen krystallisiren und dass die Form ihrer gemischten Krystalle die nämliche ist, wie die ihrer Bestandtheile.

So besitzt ein Salmiakkrystall dieselbe geometrische Gestalt wie ein Alaunkrystall, aber aus einer und derselben Flüssigkeit krystallisiren beide getrennt von einander; die sich bildenden Alaunkrystalle enthalten keinen Salmiak, die Salmiakkrystalle keinen Alaun, offenbar weil, trotz der gleichen Form der Krystallatome, die Kraft, mit welcher die Alauntheilchen und Alauntheilchen, oder Salmiaktheilchen und Salmiaktheilchen einander anziehen, weit grösser ist als die anziehende Kraft, die zwischen

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_070.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)