Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 079.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


ein Chlorid (das Kochsalz) war die Masse der übrigen Verbindungen, die Fluoride, Arsenide etc., verschwindend klein.

Die Mineralchemie begnügte sich nicht mit der Analyse, sie zeigte die Bildung des Bimssteins, des Feldspaths, Glimmers, der Schwefelmetalle etc. durch Synthese. Die Krone von allen Entdeckungen der Mineralchemie in Beziehung auf die Hervorbringung von Mineralien war unstreitig die künstliche Darstellung des Lasursteins. Kein Mineral konnte wohl mehr das Interesse erregen, als dieses. Von dem schönsten Himmelblau, unveränderlich an der Luft und im Feuer, lieferten seine subtilsten Theile die kostbarste Malerfarbe. Der Ultramarin war theuerer als Gold, seine Darstellung schien unmöglich zu sein; denn vergebens hatte die Analyse nach einem färbenden Bestandtheil gesucht, er enthielt kein Pigment; Kieselerde, Thonerde, Natron, 3 farblose Materien – Schwefel und Eisen, die beide nicht blau sind – man hatte ausser diesen keinen Körper gefunden, dem man die Farbe zuschreiben konnte. Aus Kieselerde, Thonerde, Natron, Eisen und Schwefel werden jetzt Tausende von Pfunden Ultramarin dargestellt, schöner noch wie der natürliche, und für die nämliche Summe, für die man früher nur eine Unze bekam, kauft man heute mehrere Pfunde.

Man kann sagen, dass mit der Darstellung des künstlichen Lasursteins die Hervorbringung der Mineralien aufhörte, Gegenstand einer wissenschaftlichen Aufgabe für den Chemiker zu sein. Ob sie damit aufhören darf, die Geologen zu beschäftigen, wer könnte hierüber zweifelhaft sein? – aber lange noch wird es dauern, ehe die Geologen sich zu Versuchen entschliessen, die von den Chemikern nicht mehr erwartet werden können, eben weil für sie alles Interesse daran erschöpft ist; für den Chemiker bleibt in dieser Beziehung keine Frage mehr zu lösen.

Nach der Kenntniss der Bestandtheile der festen Erdrinde, des gegenseitigen Verhaltens der nicht weiter spaltbaren Stoffe, der Metalle und Metalloide, musste nach dem natürlichen Gange der Naturforschung die höhere Potenzirung gewisser Elemente durch die Lebensthätigkeit in der Pflanze und im Thiere ein unmittelbar folgender Gegenstand der Arbeiten der Chemiker werden. Eine neue Wissenschaft, unerschöpflich wie das Leben selbst, entwickelt sich auf dem gesunden und festen Stamm der anorganischen Chemie; nach den Knospen, Blättern und Zweigen muss die Blüthe, nach der Blume sich die Frucht entwickeln; die Pflanzen- und Thierchemie sucht im Verein mit der Physiologie die geheimnissvollen Quellen des organischen Lebens zu erforschen.



Zehnter Brief.


In meinem vorigen Briefe erwähnte ich Ihnen, dass uns die Elemente der Alten nur noch als Symbole gelten für die Formen oder Zustände, in welchen sich uns die Materie darstellt; ich kann jetzt hinzufügen, dass diese Zustände der Körper nur relativ beständig sind, und dass die

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_079.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)