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Der bei der Affinirung des Silbers auf dem beschriebenen Wege als Nebenproduct gewonnene Kupfervitriol, welcher früher vorzüglich zur Darstellung grüner und blauer Farben diente, hat in der neuern Zeit eine sehr mannichfaltige Verwendung genommen. Holz, welches durch seine Masse hindurch mit einer Lösung von Kupfervitriol in Wasser getränkt wird, fault nicht und erhält sich in feuchter Erde liegend viele Jahre lang, ohne seinen Zusammenhang zu verlieren, daher denn seine Anwendung zur Erhaltung der Holzunterlagen, welche die Eisenbahnschienen tragen, deren Erneuerung eine höchst beträchtliche Ausgabe und Störung vielerlei Art veranlasst. Die Landwirthe benutzen den Kupfervitriol, um das Getreide, namentlich die Samen während ihrer Entwickelung, vor gewissen Krankheiten zu schützen, welche von der Entwickelung von Pilzen herrühren. Zu diesem Zwecke wird das Saatkorn vor dem Säen 24 Stunden lang in einer verdünnten Lösung dieses Salzes eingeweicht, wodurch, wie man annimmt, die darin vorhandenen Pilzkeime zerstört werden. Die ausgedehnteste Anwendung findet der Kupfervitriol in der Galvanoplastik.

Der bedeutendste Verbrauch von Schwefelsäure findet in der neuern Zeit in der Landwirthschaft statt; sie dient nämlich zur Darstellung des wirksamsten Düngers für Rüben, Gras und Kornpflanzen, des sogenannten schwefelsauren Knochenmehls oder sauren phosphorsauren Kalks. In der Fabrikation werden die hierzu dienenden Knochen, wenn sie frisch sind, zuvor in einem Kessel mit Wasser gedämpft, gewöhnlich unter verstärktem Druck, bis sie weich und leicht zerreiblich geworden sind; man setzt alsdann den zu einem dünnen Brei mit Wasser fein zerriebenen Knochen ⅓ von dem Gewicht der Knochen an concentrirter Schwefelsäure zu, wodurch die ganze Masse sich verdickt und fest wird. Diese Masse wird alsdann in der Wärme getrocknet, zu einem feinen Pulver auf einer Mühle gemahlen und in dieser Form in den Handel gebracht. Auf manchen grossen Gütern wird dieser Dünger von den Landwirthen selbst bereitet, und man begnügt sich alsdann, die gedämpften und in feines Pulver verwandelten Knochen mit der geeigneten Menge Schwefelsäure und mit so viel Wasser zu versetzen, dass eine dünne Milch entsteht, die man auf den Feldern gleichförmig verbreitet.

In Folge der Anwendung dieses Düngers ist der Ertrag der Rübenfelder in England um 50, häufig um 100 Procent, und in einem ähnlichen, wiewohl kleinem Verhältniss der Kornertrag der Kornfelder und der Heuertrag der Wiesen gestiegen, und es lässt sich die Wichtigkeit dieses Düngers für die Landwirthschaft am besten vielleicht aus der Ausdehnung ermessen, welche diese Fabrikation gewonnen hat. Der Herzog von Argyll in seiner Eröffnungsrede der Naturforscherversammlung in Glasgow im Herbst 1855 erwähnt, dass von diesem künstlichen Dünger in England allein jährlich nicht weniger als 60,000 Tons oder 1,200,000 Centner verbraucht werden. Auch in Deutschland, in Frankfurt a. M., am Rhein und in Preussen, sind bedeutende Fabriken dieses Knochendüngers entstanden, und so verschieden auch sonst die Ansichten der Landwirthe über die Wirksamkeit anderer Düngmittel sein mögen, alle sind darüber mit einander einverstanden, dass durch den Zusatz der Schwefelsäure die nützliche Wirkung des phosphorsauren Kalks der

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_094.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)