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durch eben diese Kraft auf eine gewisse Höhe gehoben oder gezogen werden können.

Von zwei Menschen, welche an einer Pumpe arbeiten, hebt der eine in einer Minute 150 Pfd., der andere 200 Pfd. Wasser in die Höhe; von zwei Pferden zieht das eine 20 Ctr., das andere 30 Ctr. auf demselben Wagen und demselben Wege gleich weit. Es ist klar, dass die Arbeitskraft der beiden Menschen oder der beiden Pferde im Verhältniss zu diesen beiden Zahlen steht. In der Mechanik heisst eine Pferdekraft die Wirkung eines Hubs oder Drucks, wodurch 75 Kilogr. (150 Zollpfund) in jeder Secunde einen Meter (3,426 Fuss bayr.) hoch gehoben werden, und sie drückt in dieser Weise in Pferdekräften die Arbeitskraft einer jeden Maschine aus.

Nicht alle Kraft, die wir einer Maschine mittheilen, wird zur Arbeit, d. h. zum Heben und Bewegen wirklich verwendet, ein Theil derselben wird immer durch die Reibung der Maschinen-Theile verzehrt und von zwei Maschinen, welche eine gleiche Menge Kraft empfangen haben, verrichtet die eine um so mehr Arbeit, je weniger ihr Gang durch Reibung erzeugende Hindernisse gestört und gehemmt ist. In der Mechanik wurde die Reibung stets als eine Ursache betrachtet, welche der vorhandenen Bewegung entgegenwirkt. Man glaubte, dass die Arbeitskraft einer Maschine absolut dadurch vernichtet werde.

Als der nächste Grund der Zerstörung von Bewegung war die Reibung eine handgreifliche Thatsache und konnte als solche in Rechnung genommen werden; aber in so fern man eine theoretische Vorstellung damit verknüpfte, beging man einen verhängnissvollen Irrthum; denn wenn eine Kraft völlig vernichtet werden oder ein Nichts zur Wirkung haben konnte, so war es kein Widerspruch zu glauben, dass unter Umständen aus Nichts eine Kraft erzeugbar sei. Die Möglichkeit der Erfindung einer Maschine, welche immer im Gang blieb, ohne einer äusseren Triebkraft zu bedürfen, die in sich selbst die verbrauchte Kraft stets neu wieder erzeugte, an welche die scharfsinnigsten Köpfe Jahrhunderte lang glaubten, beruhte zum Theil auf dieser irrigen Idee. Ein solches Perpetuum mobile zu bauen war wohl aller Anstrengung schon werth, denn es war wie ein Vogel, der goldne Eier legt, man konnte Arbeit damit verrichten, und ohne Geld auszugeben konnte man Geld in Fülle damit erwerben.

Eine richtigere Vorstellung über das Wesen der Naturkräfte, die wir einem Arzte Dr. Mayer in Heilbronn verdanken, und welche durch die sich daran knüpfenden Forschungen der ausgezeichnetsten Physiker und Mathematiker eine kaum geahnte Bedeutung und Wichtigkeit erlangte, brachte Licht in eine Menge bis dahin unverständlicher und unerklärbarer Vorgänge.

Kräfte, sagt Dr. Mayer, sind Ursachen und es muss auf dieselben der Grundsatz volle Anwendung finden, dass die Wirkung der Ursache entspricht und gleich der Ursache ist. Causa aequat effectum. Hat demnach eine Ursache C(ausa) eine Wirkung E(ffectum), so ist C = E. Ist die Wirkung E die Ursache einer andern Wirkung = e, so ist E = e = C. In einer solchen Kette von Ursachen und Wirkungen kann nie ein Glied oder Theil eines Gliedes zu Null = Nichts werden.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_104.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)