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Kalksalz zerfällt in bernsteinsauren, essigsauren und kohlensauren Kalk; in höherer Temperatur entwickelt sich Wasserstoffgas und es bildet sich aus der Aepfelsäure eine grosse Menge Buttersäure.

Der milchsaure Kalk liefert, mit faulem Käse in Berührung, Kohlensäure, Wasserstoffgas, Buttersäure und Mannit.

Der weinsaure Kalk liefert Kohlensäure, Metacetonsäure und Essigsäure.

Durch die Neutralisation dieser Säuren mit Kalk wird ihre chemische Action auf das Ferment beseitigt, und es behält die Flüssigkeit während des Zersetzungsprocesses ihre Neutralität bei, weil der durch die Bildung einer organischen Säure einer höheren Ordnung oder von geringerem Sättigungsvermögen freiwerdende Kalk in Verbindung mit der gebildeten Kohlensäure als kohlensaurer Kalk unauflöslich niederfällt.

Die in dem Traubensaft und in den Pflanzensäften vorhandenen Gährungsvermittler sind ohne Ausnahme solche Materien, die eine mit dem Blute oder dem Kässtoff der Milch gleiche Zusammensetzung besitzen. Die Erzeugung dieser Blutbestandtheile in den Pflanzen, in der Weinrebe z. B., kann erhöht und gesteigert werden durch thierischen Dünger. Der Kuhmist (Kuhharn) ist reich an kohlensauren Alkalien, welche auf die Vermehrung der Zuckergehalte Einfluss haben. Die Menschenexcremente enthalten dagegen nur phosphorsaure Alkalien, sie wirken besonders günstig auf die Erzeugung der Blutbestandtheile, oder, wenn man will, der Gährungserreger in den Pflanzen ein.

Man sieht leicht, dass wir durch die Cultur selbst, durch eine zweckmässige Wahl des Düngers den entschiedensten Einfluss auf die Qualität des Saftes ausüben können. Wir verbessern rationell den an Blutbestandtheilen reichen Most durch Zusatz von Zucker, der, was hier ganz gleichgültig ist, in dem Organismus einer anderen Pflanze erzeugt worden ist, oder wir setzen dem ausgepressten Saft unserer unreifen Weintrauben die getrockneten reifen Weintrauben südlicher Klimate zu. In wissenschaftlichem Sinne sind dies wahre Verbesserungen, die in keiner Weise etwas Verfängliches an sich tragen.

Aenderungen in der Natur der Producte finden in jeder Gährung statt, theils veranlasst durch einen Wechsel der Temperatur, theils durch Gegenwart anderer Materien, die in den Process der Umsetzung mit hereingezogen werden. So erhält man aus dem nämlichen Traubensafte, wenn er in verschiedenen Temperaturen gährt, Weine von ungleicher Güte und Beschaffenheit, je nachdem die Lufttemperatur im Herbste hoch oder niedrig ist; je nach der Tiefe des Kellers und seiner Temperatur während der Gährung, wechselt die Qualität, der Geruch und Geschmack des Weines. Eine ganz constante Temperatur des Gährungslocals und eine nicht stürmisch, sondern allmählich verlaufende Gährung sind die vorzüglichsten, von den Menschen abhängigen Bedingungen zur Erzielung eines edlen Weines. Nicht lange wird es dauern, und man wird bei der Weingährung den für die Fabrikation edlerer Biersorten so geeigneten tiefen Felsenkellern vor allen anderen den Vorzug geben; ihr Nutzen beruht hauptsächlich auf ihrer constanten Temperatur.

Der Einfluss, den fremde Substanzen auf die Producte der Weingährung ausüben, ist ganz besonders in die Augen fallend in der Gährung der Kartoffelmaische. Bekanntlich erhält man daraus durch Destillation

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_136.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)