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ist das Zeichen, woran man erkennt, dass keine weitere Abscheidung mehr erfolgt, dass diese Materien, und damit die Ursachen der Säurung, entfernt sind. Eine den Principien gemäss ganz vollkommene Entfernung derselben hängt von der Erfahrung und Geschicklichkeit des Brauers ab; sie wird, wie man sich leicht denken kann, nur in einzelnen Fällen erreicht, allein immer wird nach diesem Gährverfahren ein in seiner Haltbarkeit und Güte das gewöhnliche weit übertreffendes Bier gewonnen.

Der ausgezeichnete Nutzen, den die Anwendung dieser Grundsätze auf eine rationellere Weinbereitung haben muss, liegt auf der Hand, und kann in keiner Weise bestritten werden; die unvollkommene Erkenntniss oder die Unkenntniss derselben ist offenbar der Grund, dass diese Gährmethode nicht längst schon der Weinbereitung die grossen Vortheile verschafft hat, die sich davon erwarten lassen; denn der darnach bereitete Wein wird sich zu dem gewöhnlichen verhalten, wie ein gutes bayerisches Bier zu gewöhnlichem Bier, zu dessen Darstellung dieselbe Quantität Malz und Hopfen gedient hat. Der Wein muss dadurch in der kürzesten Zeit dieselbe Reife und Güte erhalten, die er sonst erst nach jahrelangem Lagern zeigt. Wenn man sich erinnert, dass die Weinbereitung auf Ende October, also gerade in die kühle Jahreszeit fällt, die der Biergährung so günstig ist, dass hierzu keine anderen Bedingungen, als ein sehr kühler Keller und offene weite Gährungsgefässe gehören, dass die Gefahr der Säurung beim Wein unter allen Umständen viel geringer ist, als beim Bier, so wird man auf den besten Erfolg mit Sicherheit rechnen können [1].

Man darf hierbei nicht vergessen, dass der Wein im Verhältniss eine weit geringere Menge von stickstoffhaltigen Materien nach der Gährung zurückbehält, als die Bierwürze, und dass es zu ihrer vollkommenen Abscheidung eines beschränkteren Luftzutritts bedarf.

  1. Einer der intelligentesten Landwirthe und Weinproducenten des Grossherzogthums Baden, Freiherr v. Babo, schrieb mir im April 1843 Folgendes: „Von der Behandlung meines rothen Weines im vorigen Herbste nach dem bayerischen Gährverfahren kann ich Ihnen berichten, dass dieselbe wieder einen ausgezeichneten Erfolg hatte. Unsere weinbauenden Praktiker können die Sache nicht begreifen, so klar ist es, dass, was bei dem Bier von so vorzüglichem und anerkanntem Erfolg ist, auch bei dem Wein zweckmässig sein muss.“ Ein Versuch, den Herr v. Babo im Herbst 1841 mit rothem Wein anstellte, war eben so günstig ausgefallen, ganz besonders in der Farbe. Die Gährung des rothen Weines konnte möglicher Weise eine Klippe sein, woran das Verfahren hätte scheitern können, allein nach diesen so gelungenen Versuchen halte ich es der allgemeinsten Anwendung fähig. Versuche im Grossen, welche auf dem Johannisberg im Jahr 1846 mit 6 Fässern Weinmost, jedes von 1200 Flaschen Inhalt, welche der Fürst Metternich bereitwilligst zur Verfügung stellte, unter der Leitung des erfahrenen Kellermeister Heckler angestellt wurden, haben ergeben, dass der Luftzutritt während der Dauer der Gährung einen wesentlich günstigen Einfluss auf die Qualität des Weines äussert. In jedes dieser Fässer wurden am Spund Oeffnungen bis zu 12 Zoll im Quadrat geschnitten, und es zeigt sich, dass eine Oeffnung von 6 Zoll im Quadrat, bedeckt mit einem Stück grober Packleinwand, vollkommen genügt, und dass der in dieser Weise vergohrene Wein eine merklich bessere Qualität besitzt, als der Wein, welcher mit aufgesetztem Gährrohr bei Luftabschluss vergohren hatte. Ganz ähnliche Resultate erhielt Herr Dr. Crasso, als er den Most in aufs Hohe gestellten Stückfässern gähren liess, deren oberer Boden herausgenommen und zum Zudecken während der Gährung benutzt wurde. (Siehe Ann. d. Chem. u. Ph. LIX. p. 360.) In anderen Versuchen, in denen man weissen Wein in unbedeckten, offenen Bütten gähren liess, verlor der Wein von seinem Bouquet und wurde flatt.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_153.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)