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erleidet, bei weitem grösser ist, als der Werth der Büchsen, die sich überdies nach sorgfältiger Reinigung wiederholt benutzen lassen.

Wenn man mit den Erscheinungen der Fäulniss und Gährung die Vorgänge in belebten thierischen Körpern vergleicht, so wird es sehr wahrscheinlich, dass eine Menge von Wirkungen, welche man gewohnt ist, besonderen vitalen Thätigkeiten zuzuschreiben, durch die nämliche Ursache bedingt werden, auf welcher die Gährung und Fäulniss beruhen. Diese Beziehungen sind bereits seit Jahrhunderten von Naturforschern und Aerzten wahrgenommen und hervorgehoben worden, und viele der letzteren betrachten noch heute, im Gegensatz zu der entwickelten Ansicht, gewisse vitale Thätigkeiten oder Lebensäusserungen als die Ursache der Fäulniss und Gährung.

Es ist erwähnt worden, dass die Bestandtheile des Thierkörpers, welche seine Hauptmasse ausmachen, das Albumin, Fibrin, Membranen und Häute, so wie der Käsestoff im Zustand der Fäulniss auf eine Menge Materien eine bestimmte Wirkung äussern, deren sichtbares Zeichen eine chemische Veränderung des Stoffes ist, der damit in Berührung gebracht wurde; es ist ferner eine feststehende Thatsache, dass die aus diesen Stoffen erzeugbaren Producte nicht immer dieselben sind, sondern dass sie sich mit dem Zustand der Zersetzung des Gährungserregers ändern.

Wenn aber ein Wechsel des Ortes und der Lagerung der Elementartheilchen thierischer Stoffe ausserhalb des Körpers einen ganz bestimmten Einfluss auszuüben vermag auf eine Menge organischer Substanzen, wenn diese, damit in Berührung, zersetzt und aus ihren Elementen neue Verbindungen gebildet werden; wenn man in Betracht zieht, dass zu den letzteren, nämlich zu den der Gährung fähigen, alle Stoffe gehören, welche Bestandtheile der Nahrung der Menschen und Thiere ausmachen, so kann man kaum daran zweifeln, dass diese Ursache in dem Lebensprocess eine wichtige Rolle übernimmt, dass sie an den Veränderungen, welche die Nahrungsmittel erleiden, wenn sie zu Fett oder zu Bestandtheilen der Organe werden, oder an der Bildung der Secrete, der Milch, des Harns einen mächtigen Antheil hat. Wir wissen ja, dass in allen Theilen des lebendigen Thierkörpers in jedem Zeitmomente ein Wechsel vor sich geht, dass belebte Körpertheilchen austreten, dass ihre Bestandtheile, Albumin, Fibrin, Membranen oder wie sie sonst heissen mögen, sich zu neuen Producten ordnen, dass ihre Elemente zu neuen Producten zusammentreten, und wir müssen unseren Erfahrungen gemäss voraussetzen, dass durch diese Beschaffenheits-Aenderung selbst, an allen Punkten, wo sie Statt findet, je nach ihrer Richtung und Stärke, in allen Bestandtheilen des Blutes und der Nahrung, die damit in Berührung kommen, eine parallellaufende Aenderung in ihrer Zusammensetzung und Beschaffenheit bewirkt wird, dass mithin der Stoffwechsel eine Hauptursache der Veränderungen, welche die Nahrungsmittel erleiden, und eine Bedingung des Ernährungsprocesses ist, dass mit jeder durch eine Krankheitsursache bewirkten Aenderung in dem Umsetzungsprocesse eines Organs oder einer Drüse oder eines Bestandtheils derselben, die Wirkung dieses Organs auf das zugeführte Blut oder auf die Beschaffenheit des Secrets sich gleichfalls ändert, dass die Wirkung einer Menge von Arzneimitteln auf dem Antheil beruht, den

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_156.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)