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eigentlicher zur Entzündung erforderlicher elektrischer Funke“; diese Ansicht gründet sich auf den Bericht eines Reisenden Namens Brydone, welcher erzählt, ein Frauenzimmer gekannt zu haben, deren Haare durch Kämmen so elektrisch wurden, dass man Funken sah, so oft man sie kämmte; eine andere Thatsache ist die, dass ein Senator Namens Drayton in den Vereinigten Staaten beim Ausziehen seiner Strümpfe, von Wolle und Seide, elektrische Funken wahrnahm. Diese Thatsachen sind an sich wahr, sie werden sogar täglich wahrgenommen, aber der Gebrauch, der von den Anhängern der Selbstverbrennung gemacht wird, erscheint zum Mindesten abgeschmackt, denn die Eigenschaft der Haare oder Seide, durch Reiben elektrisch zu werden, gehört nicht dem menschlichen Körper, sondern einer jeden Perrücke oder jedem Strumpfe an; die Elektricität kommt nicht aus dem Innern des Körpers hervor, denn das abgeschnittene Haar, oder der ausgezogene Strumpf besitzt sie ebenfalls; der Körper ist im Gegentheil das grösste Hinderniss für ihre Wahrnehmung und nur in seltenen Fällen ist die Haut so trocken und von der Beschaffenheit, dass die Haare oder die Seide beim Reiben elektrisch werden, obwohl sie die Haut berühren. Nie ist dieser Eigenschaft der Elektricitätsentwickelung an dem Körper eines Verbrannten, weder vor, noch nach dem Tode wahrgenommen, niemals ist mit einem solchen Funken das Haar, oder ein Strumpf oder die Bekleidung angezündet worden.

Die Meinungen und die Personen, welche die Selbstverbrennung als eine historische Wahrheit ansehen und vertheidigen, kann ich nicht besser charakterisiren, als wenn ich die Theorie eines der jüngsten Vertheidiger, F. J. A. Strubel, hier anführe: Die Selbstverbrennung des menschlichen Körpers, mit besonderer Berücksichtigung ihrer medicinischrechtlichen Bedeutung. Eine unter Herrn Prof. Dr. J. Wilbrand, ord. öffentl. Lehrer der Staatsarzeneikunde zu Giessen, ausgearbeitete und der medicinischen Facultät der Universität Giessen vorgelegte Abhandlung. Giessen 1848.“

Diese Theorie ist folgende: Gestützt auf die Wahrnehmung des Reisenden Brydone, sagt er: „Wird nämlich in einem menschlichen Körper die Elektricitätsentwickelung, durch welche Ursachen immer, so gesteigert oder die Elektricität so angehäuft oder condensirt, dass sie sich in elektrischen Funken nach Aussen entladet, so kann Selbstverbrennung eintreten und zwar aus folgenden Gründen: Die elektrischen, den Körper nach allen Richtungen durcheilenden Funken müssen nicht nur nach physikalischen Gesetzen das Wasser, das ⅘ vom Körper ausmacht, in grösserer oder geringerer Quantität zerlegen, sondern sie müssen auch die aus der Zerlegung hervorgehenden Elementarbestandtheile desselben, sein Wasser- und Sauerstoffgas, entzünden, mag dies, worüber die Physiker nicht einig sind, durch den mechanischen Druck der Elektricität, oder durch die chemische Wirkung bewirkt werden. Sauerstoffgas aber mit Wasserstoffgas zusammengebracht und entzündet, ein Verhältniss also, wie es sich in dem gegebenen Falle vorfindet, entwickelt den höchsten Wärmegrad, in dem der Diamant mit Leichtigkeit verflüchtet werden kann. Nach dieser Erklärungsart der Selbstverbrennung versteht sich das, was man seither für das Wunderbarste gehalten hat, ganz von selbst, nämlich die ausserordentliche Schnelligkeit, die ausserordentliche

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_201.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)