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Tod guten Christen nicht gewünscht hat, da ja doch zuletzt Alle an einer Krankheit sterben müssen und die Selbstverbrennung eine ungewöhnliche, aber doch zuletzt eine Krankheit sein soll.

Um die Verbrennung eines Körpertheils zu erklären, wird natürlich immer angenommen, dass der Sitz der Krankheit in diesem Körpertheil gewesen sei. War der Bauch und die Eingeweide verbrannt, so war die Krankheit im Bauch, verbrannte der Kopf und Hals, so war sie im Kopf und Hals, oder in den Beinen und Armen, wenn diese verbrannten. Neben die Wirkung legt man immer die Ursache und das Vorhandensein der Ursache erklärt man in der Wirkung. Dies ist gegen alle Regeln der Logik.

Die Selbstverbrennungs-Theorie ist so elastisch, dass sie weit oder eng genommen werden kann, wie man es gerade braucht; war die Verbrennung stark, so war die Krankheit bedeutend, war die Verbrennung oberflächlich, so war es wie beim Schnupfen; zwei Quadratzoll Haut am Bein sind krank und stecken die Hosen in Brand, rings um die kranke Stelle ist die Haut gesund wie bei anderen Menschen. Brauchen die Erklärer Bewusstlosigkeit, so ist sie da, haben sie beim brennenden Kopf Selbstbewusstsein zu gewissen Handlungen nöthig, so ist es auch da. Ist es ermittelt, so weit eine menschliche Wahrheit ermittelt werden kann, dass die verbrannte Person niemals betrunken war und einen Abscheu vorm Branntwein hatte, so wird unterstellt, dass sie sich wahrscheinlich heimlich betrank. Man sieht, wie der Irrthum, und die Selbstverbrennungs-Theorie ist ein Irrthum, immer nur Verblendung, Widersprüche und neue Irrthümer gebiert. Es giebt nur einen Weg zur Wahrheit, den tausend krumme Wege durchkreuzen, an jedem der letzteren steht die Leichtgläubigkeit als Wegweiser. Die Wahrheit hat ihre Rechte, die sich ungestraft nicht verletzen lassen, sie hat ihre Merkzeichen, an denen sie jeder Unbefangene erkennt.

Warum ein Theil der in der Nähe verbrennender Körper befindlichen Kleider nicht verbrenne, dies erklärt sich aus diesem oder jenem Fall, sagen die Anhänger der Selbstverbrennung, es ist dies eine Eigenthümlichkeit dieses Phänomens, was beobachtet worden ist; und warum derselbe brennende Körper, der die Kleider nicht in Brand setzte, einen Secretär von Holz und ein Sopha anzündete – dies wird wieder aus anderen Fällen erklärt; oben an der Brust verbrannten die Kleider, und die Flammen des brennenden Körpers wirkten gleich anderen Flammen, unterhalb der Herzgrube brannten die Kleider nicht, daran sei die besondere Beschaffenheit der Flamme Schuld!!

Die allergeringsten und unbedeutendsten Einzelheiten bei solchen Ereignissen erklären zu wollen, ist für Jemanden, der nicht dabei gewesen ist, unmöglich und Rechenschaft davon zu verlangen geradezu thöricht, denn die Erklärung setzt ja voraus, dass man den Vorgang kennen soll, den man nicht kennt; viele dieser Einzelheiten hängen von einer Vereinigung von Umständen ab, welche sie nachher nicht mehr zusammen finden und die man gerade deshalb zufällig nennt[1].

  1. Wenn Jemand z. B. einen Kreuzer in die Luft wirft, so kann es sich ereignen, dass der Kreuzer auf dem Boden des Zimmers in eine Spalte fällt, so dass er auf seiner scharfen Kante eingeklemmt und aufrecht steht. Wenn dieselbe Person denselben Kreuzer in dem nämlichen Zimmer hunderttausendmal in die Höhe wirft, so kann es sein, dass er nicht ein einziges mal wieder in eine Spalte und, selbst wenn dies millionenmal geschieht, an denselben Ort derselben Spalte fällt. Die Bedingungen, um dies zu bewerkstelligen, kann man auch mit dem besten Willen nicht zusammenbringen, der Kreuzer fällt daneben. Diese Art von Ereignissen schreibt man dem Zufall zu.

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_205.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)