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entweder ganz verändert, oder die Ab- und Zunahme bewegt sich um wenige Pfunde. Wo ist, kann man fragen, dieses enorme Gewicht an Sauerstoff hingekommen, das ein Individuum im Verlaufe eines Jahres in sich aufnimmt? Diese Frage ist mit befriedigender Sicherheit gelöst: kein Theil des aufgenommenen Sauerstoffs bleibt im Körper, sondern er tritt in der Form einer Kohlenstoff- oder einer Wasserstoffverbindung wieder aus. Der Kohlenstoff und der Wasserstoff von gewissen Bestandtheilen des Thierkörpers haben sich mit dem durch die Haut und Lunge aufgenommenen Sauerstoff verbunden, sie sind als Kohlensäure und Wasserdampf wieder ausgetreten. Mit jedem Athemzuge, in jedem Lebensmomente trennen sich von dem Thierorganismus gewisse Mengen seiner Bestandtheile, nachdem sie mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft eine Verbindung in dem Körper selbst eingegangen sind. Wenn wir die Blutmenge in dem Körper eines Menschen zu 12 Pfund bei einem Wassergehalt von 80 Procent annehmen, so ergiebt sich aus der bekannten Zusammensetzung des Blutes, dass zu einer völligen Verwandlung des Kohlenstoffs und Wasserstoffs im Blut in Kohlensäure und Wasser eine Quantität Sauerstoff nöthig ist, die in zwei bis drei Tagen in den Körper eines erwachsenen Menschen aufgenommen wird.

Gleichgültig, ob der Sauerstoff an die Bestandtheile des Blutes tritt oder an andere kohlen- und wasserstoffreiche Materien im Körper, es kann dem Schlusse nichts entgegengesetzt werden, dass dem menschlichen Körper in zwei Tagen und fünf Stunden so viel an Kohlen- und Wasserstoff in seinen Nahrungsmitteln wieder zugeführt werden muss, als nöthig wäre, 12 Pfund Blut mit diesen Bestandtheilen zu versehen, vorausgesetzt, dass das Gewicht des Körpers sich nicht ändern, dass er seine normale Beschaffenheit behaupten soll.

Diese Zufuhr geschieht durch die Speisen.

Aus der genauen Bestimmung der Kohlenstoffmenge, welche durch die Speisen in den Körper aufgenommen wird, so wie durch die Ausmittelung derjenigen Quantität, welche durch die Fäces und den Urin unverbrannt oder, wenn man will, in einer anderen Form, als in der einer Sauerstoffverbindung, wieder austritt, ergiebt sich, dass ein erwachsener Mann, im Zustande mässiger Bewegung, täglich 27 8/10 Loth Kohlenstoff verzehrt[1]. Diese 27 8/10 Loth Kohlenstoff entweichen aus Haut

  1. Die eben angeführten Zahlen sind durchschnittlich dem Verbrauch von 856 Mann casernirter Soldaten entnommen, deren Speisen (Brod, Kartoffeln, Fleisch, Linsen, Erbsen, Bohnen etc.) während eines Monats bis auf Pfeffer, Salz und Butter mit der grössten Genauigkeit gewogen und jedes Einzelne der Elementaranalyse unterworfen worden war. Eine Ausnahme hiervon machten drei Gardisten, welche ausser dem vorschriftmässigen Brodquantum (2 Pfund täglich) in jeder Löhnungsperiode ½ Laib = 2½ Pfund mehr bekamen, und ein Tambour der ½ Laib übrig behielt. Ungerechnet hierin ist der Kohlenstoffgehalt der frischen Gemüse, des Sauerkrauts, so wie dasjenige, was die Soldaten des Abends verzehrten. Nach einem annähernden Ueberschlage des Feldwebels verzehrt jeder Soldat täglich durchschnittlich 6 Loth Wurst, 1½ Loth Butter, ½ Schoppen (¼ Liter) Bier und 1/10 Schoppen Branntwein, deren Kohlenstoffgehalt mehr als das Doppelte beträgt von dem Kohlenstoffgehalt der Fäces und des Urins zusammengenommen. Die Fäces betragen bei einem Soldaten durchschnittlich 11½ Loth, sie enthalten 75 Proc. Wasser und der trockene Rückstand 45,24 Proc. Kohlenstoff und 13,15 Proc. Asche. 100 Theile frische Fäces enthalten hiernach 11,31 Kohlenstoff, sehr nahe so viel wie ein gleiches Gewicht frisches Fleisch. In obiger Rechnung ist der Kohlenstoff der Fäces und der des Urins gleichgesetzt worden dem Kohlenstoffgehalt der frischen Gemüse und der anderen Speisen, welche im Wirthshause verzehrt wurden.

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_217.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)