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nehmen die Bestandtheile des Gehirns Antheil an diesem Oxydationsprocess, es erfolgt Wahnsinn, Irrreden und der Tod, das heisst, aller Widerstand hört völlig auf, es tritt der chemische Process der Verwesung ein, alle Theile des Körpers verbinden sich mit dem Sauerstoff der Luft.

Die Zeit, in welcher ein Verhungernder stirbt, richtet sich nach dem Zustand der Fettleibigkeit, nach dem Zustand der Bewegung (Anstrengung und Arbeit), nach der Temperatur der Luft, und ist zuletzt abhängig von der Gegenwart oder Abwesenheit des Wassers. Durch die Haut und Lunge verdunstet eine gewisse Menge Wasser, durch deren Austreten, als der Bedingung aller Vermittelung von Bewegungen, der Tod beschleunigt wird. Es giebt Fälle, wo bei ungeschmälertem Wassergenuss der Tod erst nach 20, in einem Falle erst nach 60 Tagen erfolgte.

In den meisten chronischen Krankheiten erfolgt der Tod durch die nämliche Ursache: durch die Einwirkung der Atmosphäre. Wenn die Stoffe fehlen, welche in dem Organismus zur Unterhaltung des Respirationsprocesses bestimmt sind, wenn die Organe des Kranken ihre Function versagen, wenn sie die Fähigkeit verlieren, zu ihrem eigenen Schutz die genossenen Speisen in den Zustand zu versetzen, in dem sich ihre Bestandtheile mit dem Sauerstoff der Luft zu verbinden vermögen, so wird ihre eigene Substanz, das Fett, das Gehirn, die Substanz der Muskeln und Nerven dazu verwendet. Die von aussen wirkende Ursache des Todes ist in diesen Fällen der Respirationsprocess, die Einwirkung der Atmosphäre. Mangel an Nahrung, an Fähigkeit, sie zu Bestandtheilen des Organismus zu machen, ist Mangel an Widerstand; es ist die negative Ursache des Aufhörens der Lebensthätigkeit. Die Flamme geht aus, weil das Oel verzehrt ist: es ist der Sauerstoff der Luft, der es verzehrt hat.

In manchen Krankheitszuständen erzeugen sich Stoffe, die zur Assimilation nicht verwendbar sind; durch blosse Enthaltung von Speisen werden sie aus dem Körper entfernt, sie verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen, indem ihre Bestandtheile mit dem Sauerstoff der Luft in Verbindung treten. Von dem Augenblick an, wo die Function der Haut oder Lunge eine Störung erleidet, erscheinen kohlenstoffreichere Stoffe im Urin, der seine gewöhnliche Farbe in braun umändert.

Sehr viele, vielleicht die Mehrzahl aller chronischen Krankheiten der Menschen sind bedingt durch ein Missverhältniss oder ein gestörtes Verhältniss der Verrichtungen der Verdauungs- und Excretionsorgane in ihren Beziehungen zu der Lunge. Wenn wir den trivialen Vergleich mit dem Ofen festhalten, so weiss Jedermann, dass die Anhäufung von Russ in dem Schornstein, oder die Ueberladung des Heerdes mit Brennmaterial die Functionen des Feuerheerdes unterbricht, dass diese eine Verstopfung des Rostes bewirken, durch welchen die Luft Zutritt zu dem Feuerraume hat.

In der so unendlich vollkommenen Maschine, welche der thierische Organismus darstellt, besteht zwischen der Lunge, dem Darmkanal und den Nieren ein vollkommen gleiches Verhältniss der Abhängigkeit.

Einsichtsvolle und erfahrene Aerzte haben längst erkannt, dass die Nieren und der Mastdarm die Regulatoren des Athmungsprocesses sind. Der Mastdarm ist ein Organ der Secretion, er ist der Rauchfang des

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_224.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)