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die Verdauungsorgane zugeführt wird, sehr rasch verschwinden; die geringste Störung in der Function der letzteren würde dem Leben eine Grenze setzen müssen.

So lange das Blut neben dem Albumin noch Materien enthält, die es in seiner Verwandtschaft zum Sauerstoff übertreffen, so lange wird der Sauerstoff keine zerstörende Wirkung auf diesen Hauptbestandtheil des Blutes ausüben können, und die Bedeutung der stickstofffreien Bestandtheile der Nahrung ist damit erklärt.

Das Stärkmehl, der Zucker, das Fett, sie dienen zum Schutz der Organe und, in Folge der Verbindung ihrer Elemente mit dem Sauerstoff, zur Erhaltung der Temperatur des Körpers.

Die schwefel- und stickstoffhaltigen Bestandtheile der Nahrung vermitteln die Fortdauer der Kraftwirkungen, die stickstofffreien dienen zur Wärmeerzeugung; die ersteren sind die Formbildner und Krafterzeuger, die anderen unterhalten den Respirationsprocess; es sind Respirationsmittel.

Die Nothwendigkeit des gleichzeitigen Vorhandenseins der plastischen und der Respirationsmittel und ihrer richtigen Mischung in der Nahrung ist hiernach einleuchtend. Die Summe beider, welche der Körper täglich bedarf, ist abhängig von der aufgenommenen Sauerstoffmenge, ihr relatives Verhältniss ist abhängig von dem Wärmeverlust und von dem Verbrauch an Kraft.

Bei gleichem Kraftverbrauch in der Arbeit bedarf der Mensch im Sommer ein kleineres Verhältniss an Respirationsmitteln als im Winter, im Süden weniger als im Norden, und wenn der Mensch dem Gewichte nach gleiche Quantitäten davon in verschiedenen Jahreszeiten oder Klimaten geniesst, so sind diese, in dem einen Fall wie die organischen Säuren und der Zucker, reicher an Sauerstoff, in dem anderen, wie der Thran und Speck des Polarländers, reicher an verbrennlichen Elementen.

Weder die Bildung der Organe aus den Bestandtheilen des Blutes, noch ihre Verwendung zu Kraftwirkungen kann gedacht werden ohne die Gegenwart der stickstofffreien Materien. Wir finden in dem Hühnerei auf 10 Theile Albumin 15 Theile stickstofffreie Substanz (Fett in Stärkmehl ausgedrückt), von welcher der grösste Theil während der Bebrütung verschwindet. Durch die Verbindung der Bestandtheile des Fettes mit dem Sauerstoff der Luft wird eine gewisse Wärmemenge entwickelt und die Wirkung der Bebrütungswärme unterstützt, es wird Kohlensäure und Wasser gebildet, und durch letzteres das verdunstende Wasser zum Theil ersetzt; durch die Gegenwart des Fettes wird zuletzt die Wirkung des Sauerstoffs im Gleichgewichte gehalten und auf das richtige Maass seines zu Erzeugung der Gebilde nöthigen Antheils zurückgeführt. Das athmende Thier verbraucht aber eine weit grössere Menge Sauerstoff, als zu gleichen Zwecken das Ei während seiner Bebrütung, und es muss demgemäss die Menge der stickstofffreien Bestandtheile seiner Nahrung im Verhältniss zu diesem Mehrverbrauch an Sauerstoff stehen. Man kann vielleicht hieraus schliessen, dass das Verhältniss der stickstofffreien zu den plastischen Stoffen im Hühnerei das Minimum ist, welches die warmblütigen Thiere in Beziehung auf den Gehalt an diesen letzteren in ihrer Nahrung bedürfen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_256.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)