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phosphorsaures Natron, welches in seinen chemischen Eigenschaften dem kohlensauren Natron am nächsten steht, und in Chlorkalium[1].

Wenn man ferner berücksichtigt, dass die in dem Magensafte häufig vorkommende bei der Verdauung wirksame Säure freie Salzsäure ist[2], welche von dem Kochsalz stammt, so scheinen alle diese Thatsachen zusammengenommen als unwiderlegliche Beweise der Nothwendigkeit des Kochsalzes für den Lebensprocess und des Kochsalzzusatzes zu der Speise des Menschen und des Futters der Thiere angesehen werden zu müssen.

Die Wirkung der freien Salzsäure auf die plastischen Bestandtheile der Speisen ist sehr bemerkenswerth; der Kleber der Getreidearten, das Fleischfibrin lösen sich z. B. in Wasser, welches durch Zusatz von Salzsäure kaum sauer ist, in der Körperwärme leicht und mit Schnelligkeit auf, und diese Löslichkeit nimmt nicht zu, sondern ab, wenn man die Menge der Säure in der Flüssigkeit vermehrt, so dass alles Aufgelöste durch mässig concentrirte Salzsäure wieder niedergeschlagen werden kann. Aehnlich wie die concentrirte Salzsäure wirkt eine Kochsalzlösung. Das nämliche Wasser, welches durch Zusatz von 1/1000 Salzsäure ein kräftiges Lösungsmittel für die genannten plastischen Bestandtheile wird, verliert sein Lösungsvermögen bei einem Gehalt von etwas mehr wie 3 Procent Kochsalz, und es lässt sich aus einer sauren Auflösung von Kleber oder Fleischfibrin alles Gelöste durch eine Kochsalzlösung wieder abscheiden.

Die soeben hervorgehobenen Beziehungen der Bestandtheile des Kochsalzes zu den organischen Processen sind sicher nicht die einzigen, welche dieser durch ihre Verbreitung und Allgegenwart in den organischen Wesen so merkwürdigen Verbindung zukommen; es ist mehr als wahrscheinlich, dass es für sich durch seine eigenthümlichen Eigenschaften als Kochsalz gewisse Vorgänge vermittelt, vielleicht bedingt.

Man darf sich nur daran erinnern, dass das Kochsalz die unter den Salzen ganz ungewöhnliche Eigenschaft besitzt, mit Harnstoff eine in schönen, grossen, wasserhellen rhombischen Prismen krystallisirbare chemische Verbindung zu bilden, welche in dem kochsalzhaltigen Harn stets vorhanden ist[3]. Selbst in der Glasfeuchtigkeit des Auges findet sich der Harnstoff begleitet von Kochsalz. Durch seine Verbindung mit Kochsalz verliert der Harnstoff gewisse Eigenschaften, die demselben als einer organischen Verbindung zukommen, und es dürften genauere Beobachtungen vielleicht darthun, dass die Abwesenheit des Harnstoffs, des Endproductes des organischen Stoffwechsels, so wie die des Kochsalzes im Muskelsystem, und die Aufnahme oder der Uebergang des Harnstoffs in

  1. Wenn man eine mässig concentrirte Lösung von phosphorsaurem Kali mit einer Kochsalzlösung vermischt und in der Kälte ruhig stehen lässt, so krystillisirt sehr bald phosphorsaures Natron in schönen Krystallen aus.
  2. Die früheren Erfahrungen von Prout und L. Gmelin haben in der neuesten Zeit durch Dr. Schmidt in Dorpat für viele Fälle Bestätigung erhalten.
  3. Unter den Salzen gehen nur manche salpetersaure Salze ähnliche Verbindungen mit dem Harnstoff ein. Von dem Vorhandensein der Kochsalzverbindung im Harn der Thiere und Menschen rührt es her, dass man oft aus mässig concentrirtem Harn durch Salpetersäure keinen salpetersauren Harnstoff erhält, und dass in concentrirtem nach dem Zusatz von Salpetersäure mehr Harnstoff zurückbleibt als der Löslichkeit des salpetersauren Harnstoffs entspricht.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_277.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)