Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 280.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


durch einen äusseren Druck durch die Membran, dem Gesetz der Schwere entgegen, getrieben würde.

Durch den einfachen Zusatz von Kochsalz zum Wasser empfängt die Röhre mit der Blase die Eigenschaft einer Pumpe, sie saugt Wasser mit einer Kraft auf, welche dem Druck einer Quecksilbersäule von 2 bis 3 Zoll Höhe in manchen Fällen gleichkommt.

Wenn man die Röhre mit einer sehr dünnen Membran verschliesst, zur Hälfte mit fibrinfreiem Ochsenblute füllt und in ein Glas mit warmem Wasser (v. 37–38° C.) in der beschriebenen Weise stellt, so sieht man nach wenigen Minuten das Blut ganz wie das Salzwasser in die Höhe steigen, das Wasser fliesst zu dem Blute über.

Dass der Gehalt der Blutflüssigkeit an Salzen an diesem Aufsaugen einen grossen Antheil hat, sieht man daran, dass die Flüssigkeit, welche sich leicht von in der Hitze geronnenem Blute abpressen lässt, und welche Kochsalz und die anderen Salze des Blutes enthält, in die Röhre statt des Blutes gebracht, ganz dieselbe Erscheinung wahrnehmen lässt.

Das Vermögen der Membran, Wasser nach der Seite hin überfliessen zu machen, wo sich das Salz befindet, hängt mithin ab von dem Salz; wenn die Flüssigkeiten auf beiden Seiten gleich viel Salz enthalten, so findet kein Ueberströmen statt; immer strömt die Flüssigkeit nach der Seite hin, wo sich das meiste Salz befindet, und um so schneller, je grösser der Unterschied im Salzgehalte beider Flüssigkeiten ist.

Wenn man der Kochsalzlösung ein freies Alkali (kohlensaure oder phosphorsaure Alkalien) zusetzt, so wird das Aufsaugungsvermögen sehr merklich erhöht, und wenn die äussere Flüssigkeit schwach sauer und die kochsalzhaltige in der Röhre alkalisch ist, so findet das Ueberströmen (der sauren zu der alkalischen) am raschesten statt.

Ein Jeder, welcher sich die Mühe macht, diese anziehenden Versuche zu wiederholen, gewinnt durch die blosse Anschauung eine vollkommene Einsicht in das Wesen des organischen Aufsaugungsprocesses.

In dem thierischen Leibe vereinigen sich in der That alle Bedingungen, um durch das Blut das Gefässsystem zu der vollkommensten Saugpumpe zu machen, welche ihre Dienste verrichtet ohne Hahn und Klappen, ohne mechanischen Druck, ja ohne eigentliche Canäle oder Wege für den Uebergang der Flüssigkeiten. Die im Magen in der Verdauung der Speisen entstehende Auflösung ist sauer, das Blut ist eine salzhaltige und alkalische Flüssigkeit. Der ganze Verdauungscanal ist umgeben von einem System von unendlich verzweigten Blutgefässen, in denen sich die Blutflüssigkeit mit einer grossen Geschwindigkeit bewegt; durch die Harnwerkzeuge wird das übergeströmte Wasser sogleich abgeseiht und die Blutflüssigkeit stets auf einem gleichen Zustande der Concentration erhalten.

Man versteht jetzt leicht die Wirkung, welche Wasser von verschiedenem Salzgehalt in dem Organismus hervorbringt.

Wenn man nämlich in nüchternem Zustande von zehn zu zehn Minuten ein Glas gewöhnliches Brunnenwasser trinkt, dessen Salzgehalt weit kleiner ist als der des Blutes, so tritt schon nach dem Trinken des zweiten Glases (zu vier Unzen gerechnet) eine Quantität gefärbten Harns aus, dessen Volum dem des genossenen ersten Glases Wasser sehr nahe

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_280.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)