Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 282.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.



Zweiunddreissigster Brief.


Brod und Fleisch, oder vegetabilische und animalische Nahrung, wirken, in Beziehung auf die Functionen, welche die Menschen mit den Thieren gemein haben, auf einerlei Weise, sie erzeugen in dem lebendigen Leibe dieselben Producte. Das Brod enthält in seiner Mischung in dem Pflanzen-Albumin und -Fibrin des Klebers zwei Hauptbestandtheile des Fleisches, und in seinen unverbrennlichen Bestandtheilen die für die Blutbildung unentbehrlichen Salze in gleicher Beschaffenheit und in ähnlichem Verhältniss wie das Fleisch; aber das Fleisch enthält ausser diesen noch eine Anzahl Stoffe, welche in der vegetabilischen Nahrung völlig fehlen, und es sind von diesen anderen Fleischbestandtheilen gewisse Wirkungen abhängig, durch welche sich das Fleisch von anderen Nahrungsmitteln sehr wesentlich unterscheidet.

Wenn man fein gehacktes Muskelfleisch mit kaltem Wasser auslaugt und auspresst, so bleibt ein weisser faseriger Rückstand, der aus der eigentlichen Muskelfaser, aus Bindegewebe, Gefässen und Nerven besteht.

Bei vollkommener Auslaugung löst das kalte Wasser 16 bis 24 Gewichtsprocente des trockenen Fleisches auf; das Fleischfibrin oder der Hauptbestandtheil der Muskelfaser macht über ¾ von dem Gewicht des ausgelaugten Fleischrückstandes aus. Wird dieser nach dem Auspressen auf 70 bis 80° C. erhitzt, so ziehen sich die Fasern zusammen, schrumpfen ein und werden hornartig hart; es tritt eine Veränderung, eine Art von Gerinnung ein, in deren Folge die Fleischfaser ihre Fähigkeit verliert, Wasser schwammartig einzusaugen und zurückzuhalten, es fliesst Wasser aus; ohne dass Wasser zugesetzt worden ist, schwimmt der erhitzte Fleischrückstand in Wasser. Das ausgelaugte und gekochte Fleisch ist wie die Brühe, in welcher es gekocht wurde, geschmacklos oder von schwach ekelerregendem Geschmacke, es lässt sich nicht kauen und wird selbst von Hunden nicht mehr berührt.

Alle schmeckenden Bestandtheile des Fleisches sind im Fleischsafte enthalten und können durch kaltes Wasser hinweggenommen werden.

Wenn man den wässerigen, von Blutfarbstoff gewöhnlich roth gefärbten Fleischauszug allmählich bis zum Sieden erhitzt, so scheidet sich, wenn die Flüssigkeit die Temperatur von 56° C. angenommen hat, das aufgelöste Fleischalbumin in beinahe weissen käsigen Flocken ab; erst bei 70° C. gerinnt der Blutfarbstoff; die Flüssigkeit wird schwach gelblich, klar, und färbt Lakmuspapier roth, ein Zeichen von dem Vorhandensein einer freien Säure.

Die Menge des in der Hitze als Gerinnsel sich ausscheidenden Fleischalbumins ist je nach dem Alter der Thiere sehr verschieden. Das Fleisch

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_282.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)