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ausscheiden sehen, wir wissen, dass er unseren Getreide- und Gemüsepflanzen für die Bildung ihrer Samen unentbehrlich ist.

Wie verschieden verhalten sich von den Sommergewächsen die immergrünenden Gewächse, die Fettpflanzen, Moose, die Nadelhölzer und Farrenkräuter! Sommer und Winter nehmen sie zu jeder Zeit des Tages Kohlenstoff durch ihre Blätter auf, durch Absorption von Kohlensäure, die ihnen der unfruchtbare Boden nicht liefern kann; ihre lederartigen oder fleischigen Blätter halten das aufgesaugte Wasser mit grosser Kraft zurück; sie verlieren, verglichen mit anderen Gewächsen, nur wenig davon durch Verdunstung.

Wie gering ist zuletzt die Menge der Mineralsubstanzen, die sie während ihres kaum still stehenden Wachsthums das ganze Jahr hindurch dem Boden entziehen, wenn wir sie mit der Menge vergleichen, die z. B. eine Ernte Weizen bei gleichem Gewicht in drei Monaten von dem Boden empfängt!

Wenn es im Sommer an Feuchtigkeit fehlt, durch deren Vermittelung die Pflanze die ihr nöthigen Alkalien und Salze vom Boden erhält, so beobachten wir eine Erscheinung, welche früher, wo die Bedeutung der mineralischen Nahrungsstoffe für das Leben der Pflanze nicht erkannt war, völlig unerklärlich schien. Wir sehen nämlich, dass die Blätter in der Nähe des Bodens, die sich zuerst und vollkommen entwickelt hatten, ohne eine sichtbar auf sie einwirkende schädliche Ursache ihre Lebensfähigkeit verlieren, sie schrumpfen zusammen, werden gelb und fallen ab. Diese Erscheinung zeigt sich in dieser Form nicht in feuchten Jahren, man beobachtet sie nicht an immergrünenden Gewächsen, und nur in seltenen Fällen an Pflanzen, welche lange und tiefe Wurzeln treiben; sie zeigt sich nur im Herbst und Winter an perennirenden Gewächsen.

Die Ursache dieses Absterbens ist jetzt einem Jeden klar. Die völlig entwickelt vorhandenen Blätter nehmen unausgesetzt aus der Luft Kohlensäure und Ammoniak auf, welche zu Bestandtheilen neuer Blätter, Knospen und Triebe übergehen; aber dieser Uebergang kann ohne die Mitwirkung der Alkalien und der übrigen Mineralbestandtheile nicht stattfinden. Ist der Boden feucht, so werden sie unausgesetzt zugeführt, die Pflanze behält ihre lebendige grüne Farbe; ist aber bei trockenem Wetter die Zufuhr aus Mangel an Wasser abgeschnitten, so findet in der Pflanze selbst eine Theilung statt. Die mineralischen Bestandtheile des Saftes der schon ausgebildeten Blätter werden denselben entzogen und zur Ausbildung der jungen Triebe verwendet, und mit der Entwickelung des Samens findet sich ihre Lebensfähigkeit völlig unterdrückt. Die abgewelkten Blätter enthalten nur Spuren von löslichen Salzen, während die Knospen und Triebe ausserordentlich reich daran sind.

Wir sehen auf der anderen Seite, dass in einem mit Salzen zu reichlich versehenen Boden durch einen Ueberfluss an löslichen Mineralbestandtheilen bei vielen, vorzüglich Küchengewächsen, auf der Oberfläche der Blätter Salze abgesondert werden, welche das Blatt mit einer weissen filzigen Kruste bedecken; in Folge dieser Ausschwitzungen kränkeln die Pflanzen, ihre organische Thätigkeit nimmt ab, ihr Wachsthum wird gestört, und wenn dieser Zustand längere Zeit dauert, so stirbt

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_322.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)