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und assimilirbar geworden ist, als die Halme und Blätter einer ganzen Ernte Weizen bedürfen. In Ungarn sind grosse Strecken Landes nicht selten, wo seit Menschengedenken auf einem und demselben Felde Weizen und Tabak abwechselnd gebaut werden, ohne dass dieses Land jemals etwas von den Mineralbestandtheilen zurück empfing, die mit den Blättern und Korn hinweggenommen wurden. Es giebt Felder, in denen erst nach Verlauf von zwei, von drei oder mehr Jahren die für eine Ernte Weizen nöthige Quantität kieselsaures Kali zur Aufschliessung gelangt.

Brache heisst nun im weitesten Sinne diejenige Periode der Cultur, wo in dem Boden, dem Einfluss der Witterung überlassen, gewisse Bestandtheile verbreitbar und für die Pflanzenwurzeln aufnehmbar werden, die es vorher nicht, oder in geringerem Grade waren. Im engeren Sinne bezieht sich das Brachliegen stets nur auf die Intervalle in der Cultur der Getreidepflanzen; für diese ist ein Magazin von löslicher Kieselerde neben den Alkalien eine Hauptbedingung ihres Gedeihens, und wenn wir auf dem nämlichen Felde Kartoffeln oder Rüben bauen, durch welche die aufgeschlossene Kieselerde nicht entführt wird, so muss es für die darauf folgende Weizenpflanze diese Bedingung behalten.

Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich, dass die mechanische Bearbeitung des Feldes das einfachste und wohlfeilste Mittel ist, um die im Boden enthaltenen Nahrungsstoffe den Pflanzen allerorts zugänglich zu machen. Giebt es nun, kann man fragen, ausser den mechanischen nicht noch andere Mittel, welche dazu dienen können, den Boden aufzuschliessen und die Aufnahme seiner Bestandtheile in den Organismus der Pflanzen vorzubereiten? Diese Mittel giebt es allerdings, und unter ihnen ist vorzüglich der gebrannte Kalk in England seit einem Jahrhundert in einem grossen Massstab in Gebrauch; es würde sehr schwer sein, um ein einfacheres und dem Zweck entsprechenderes aufzufinden. Um aber eine richtige Ansicht über die Wirkung des Kalkes auf die Ackerkrume zu gewinnen, ist es nöthig, sich an die Processe zu erinnern, welche der Chemiker zur Hülfe nimmt, um in einer gegebenen kurzen Zeit ein Mineral aufzuschliessen, seine Bestandtheile in den auflöslichen Zustand zu versetzen.

Der auf’s feinste gepulverte Feldspath z. B. bedarf für sich einer wochen- oder monatelangen Behandlung mit einer Säure, um ihn aufzulösen; mischen wir ihn aber mit Kalk und setzen ihn einer mässigstarken Glühhitze aus, so geht der Kalk eine chemische Verbindung mit den Bestandtheilen des Feldspathes ein. Ein Theil des im Feldspath gebundenen Alkalis (Kali) wird in Freiheit gesetzt, und das blosse Uebergiessen mit einer Säure reicht jetzt schon in der Kälte hin, nicht nur um den Kalk, sondern auch die anderen Bestandtheile des Feldspathes in der Säure zu lösen. Von der Kieselerde wird soviel von der Säure aufgenommen, dass die letztere zu einer durchscheinenden Gallerte gesteht.

Aehnlich nun wie der Kalk zum Feldspath beim Brennen, verhält sich der gelöschte Kalk zu den meisten alkalischen Thonerde-Silicaten, wenn sie im feuchten Zustande längere Zeit mit einander in Berührung bleiben. Zwei Mischungen, die eine von gewöhnlichem Töpferthon oder Pfeifenerde mit Wasser, die andere von Kalkmilch, werden beim Zusammenschütten augenblicklich dicker. Ueberlässt man sie monatelang

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_327.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)