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Anwesenheit wird der den Pflanzen schädliche Fäulnissprocess in den ihnen vortheilhaften Verwesungsprocess übergeführt.

Ein Gehalt an organischen Stoffen in einem an Silicaten reichen Boden bewirkt, dass Wasser, welches diesen Boden durchdringt, eine weit grössere Menge Kieselsäurehydrat auflöst, als für manche Gewächse, namentlich für den in den Wurzeln vorgehenden Aufsaugungsprocess förderlich ist. Durch den Kalk wird diese Eigenschaft aufgehoben, durch seine directe Wirkung auf die Silicate wird zuletzt Kali in Freiheit gesetzt und in der Ackerkrume verbreitbar gemacht. Die Esparsette gedeiht und dauert aus auf Feldern, welche reich an Kalk sind. Es ist sicher, dass der Kalk in einem solchen Boden den Esparsettepflanzen nicht darum nützlich ist, weil sie mehr Kalk für ihre Lebenszwecke bedürfen als andere Pflanzen, welche auf einem an Kalk weit ärmeren Boden mit Ueppigkeit gedeihen, sondern es muss die Ursache der Nothwendigkeit des Ueberschusses an Kalk darin gesucht werden, dass derselbe gewisse Schädlichkeiten ausschliesst, welche bei der langen Dauer dieser Gewächse auf demselben Boden sich nach und nach darin anhäufen.

Dass in einer Menge von Fällen, in welchen dieselben Pflanzen auf dem nämlichen Boden nicht mehr gedeihen wollen, die angedeutete Ursache nicht allein wirkt, sondern Mangel an Nahrung überhaupt oder im richtigen Verhältniss als der nächste Grund des Nichtgedeihens angesehen werden muss, versteht sich wohl von selbst. Das Inbetrachtziehen so vieler Ursachen, welche das Gedeihen der Gewächse hindern oder befördern, macht eben die Landwirthschaft zu dem schwierigsten aller Betriebe.

Auf Feldern, welche perennirende Pflanzen tragen, deren Wurzeln nicht in die Tiefe dringen, sammeln sich allmählich ähnliche Schädlichkeiten an, welche das Gedeihen zukünftiger Pflanzengenerationen benachtheiligen, und alle Einflüsse wohlerwogen, scheint das Bewässern der Wiesen mit Rieselwasser neben anderen auch den wichtigen Zweck zu haben, dass durch den im Wasser gelösten und in den Boden eindringenden Sauerstoff und die Kohlensäure in dem Boden diese Schädlichkeiten entfernt und eine ähnliche Beschaffenheit hergestellt wird, wie sie das Ackerfeld durch fleissiges Pflügen empfängt. Eine Analyse des von den Wiesen abfliessenden Wassers dürfte leicht ergeben, dass dasselbe eben so viel an Mineralsubstanzen und Ammoniak ab- als zuführt. Es versteht sich wohl von selbst, dass hier nicht Wiesen gemeint sind, die man mit Mistjauche gedüngt hat, oder welche mit dem an Pflanzennahrungsstoffen reichen Abzugswasser aus Städten bewässert werden, da in diesen zwei Ursachen zusammen wirken, welche die Erträge steigern, deren eine (Zufuhr von mineralischen Nahrungsstoffen und Ammoniak) in dem gewöhnlichen Quell- und Bächewasser so gut wie ausgeschlossen ist.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_386.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)