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enthalten sein; fehlt die Nahrung in irgend einem Theil des Bodens, so trägt dieser Theil zur Ernährung nichts bei. Der Gehalt an Nahrungsstoff in jedem Theil des Querschnitts des Bodens, in jedem Quadratmillimeter abwärts bestimmt seinen Ernährungswerth. Jede Wurzelfaser nimmt auf, was sie, entsprechend ihrem Querschnitt, auf ihrem Wege abwärts in die Tiefe antrifft.

Wenn wir annehmen, dass der Querschnitt der Wurzeln aller Weizenpflanzen, die auf einem Quadratdecimeter wachsen, 100 Quadratmillimeter beträgt, oder dass auf dieser Fläche eine Weizenpflanze steht mit zwei oder drei Halmen, welche hundert Wurzeln hat von einem Quadratmillimeter Querschnitt, so muss jede dieser Wurzeln, um der Pflanze 250 Milligramme zuführen zu können, 2½ Milligramme Nahrung empfangen, in jedem der 10,000 Quadratmillimeter abwärts müssen diese 2½ Milligramme enthalten sein, zusammen 25,000 Milligramme (= 25 Gramme im Quadratdecimeter auf 10 Zoll Tiefe gerechnet, d. h. etwas über ½ Procent der Bodenmasse, im Hectar 25,000 Ko.).

Ein Hectar Feld, welcher von der Oberfläche abwärts nicht mehr als 250 Ko. Bodenbestandtheile (und darin 50 Ko. = 100 Pfd. Kali, und 25 Ko. = 50 Pfd. Phosphorsäure) enthielte, würde, wie aus dieser Betrachtung sich ergiebt, für eine Weizenernte vollkommen unfruchtbar sein, denn wenn auch die Weizenpflanze statt hundert Wurzeln deren tausend jede von der Dicke einer Hyazinthenwurzel besässe, so würde sie durch diese dennoch nur den zehnten Theil ihres Bedarfs vom Boden empfangen können.

Nach unserer Annahme, welche den vollen Gehalt in Wirklichkeit nicht erreichen dürfte, müsste ein Hectar Weizenfeld, um eine mittlere Weizenernte zu liefern, von der Oberfläche abwärts mindestens 5000 Ko. Kali, und 2500 Ko. Phosphorsäure enthalten[1].

Wenn durch eine mittlere Weizenernte, in 2000 Ko. Korn und 5000 Ko. Stroh, ein Procent von der im Felde vorhandenen mineralischen Nahrung genommen wird, so bleibt der Boden in den darauf folgenden Jahren immer noch fruchtbar für neue Weizenernten, aber die Erträge nehmen ab.

Wenn der Boden auf das Sorgfältigste gemischt worden ist, so findet die im nächsten Jahre auf demselben Felde wachsende Weizenpflanze an jeder Stelle ein Procent weniger Nahrung vor, und der Ertrag an Korn und Stroh muss in eben diesem Verhältniss kleiner sein. Bei gleichen klimatischen Bedingungen, Temperatur und Regenmenge wird man im zweiten Jahre nur 1980 Ko. Korn und 4950 Ko. Stroh ernten, und in jedem folgenden Jahre müssen die Ernten fallen nach einem bestimmten Gesetz.

  1. Wenn die im Verhältniss zu der Bodenmasse so kleine Quantität von mineralischen Nahrungsstoffen (2 Gran in einem Cubikzoll) in chemischer Verbindung in der Ackerkrume zugegen wäre, so ist es unmöglich, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie sie in einer solchen allerwärts im Boden verbreitet und den Wurzeln erreichbar sein könnte. Das Verhalten der Ackerkrume der verschiedensten Bodenarten gegen ihre Lösungen zeigt, dass diese Nahrung in einer ähnlichen Weise darin gebunden und enthalten ist, wie der Farbstoff auf einem gefärbten Zeug, oder in der Kohle, womit man eine Flüssigkeit entfärbt hat; dem Gewicht nach reicht bei diesem eine sehr kleine Menge hin, um eine ausserordentlich grosse Oberfläche zu bedecken.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_389.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)