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Er erdenkt sich ein fruchtbares Feld, das ausserordentlich reich an den Aschenbestandtheilen der Gewächse ist, und lässt demselben was ihm oben genommen wird auf die geschickteste Weise unten wieder zufliessen; nachdem er es in dieser Weise unerschöpflich gemacht hat, folgert er sodann, dass alle fruchtbaren Felder, welche fruchtbar waren und unausgesetzt ohne alle Erschöpfung Ernten liefern, sich diesem erdachten Feld gleich verhalten müssen, was nicht unmöglich ist; es folgt daraus von selbst, dass die schlechtesten Bodenarten, worunter man natürlich nur solche verstehen kann, welche schlechthin unfruchtbar sind, ab ovo der Zufuhr bedürftig wären, denn es ist unmöglich abzunehmen, dass sie, bei dem Mangel an mineralischen Nahrungsmitteln, den man darin voraussetzt, Ernten ohne diese Aschenbestandtheile hätte liefern können. Hieraus ist klar, dass wenn alle fruchtbaren Felder unerschöpflich an Aschenbestandtheilen sind, nur die unfruchtbaren Felder einer Zufuhr bedürfen um fruchtbar zu sein, und eines Ersatzes um fruchtbar zu bleiben.

Wenn ein unwissender Bauer, welcher dreissig Jahre lang auf das Pflügen und Säen seiner Felder Ernten folgen sah, welcher weiss, dass sein Vater und Grossvater auf dem nämlichen Felde, jeder dreissig Jahre lang, ebenfalls nach dem Pflügen und Säen geerntet hat, sich auf diese Thatsachen hin zu dem Schluss berechtigt glaubt, dass dieses Feld noch dreissig, sechszig, hundert Jahre lang, oder auf ewige Zeiten hinaus, Ernten liefern werde, so muss man ihm dies verzeihen um seiner Unwissenheit willen; wenn aber dieser Bauer gestehen muss, dass sein Grossvater, Vater und er selbst dieses Feld jedes Jahr hatte düngen müssen, und dann behauptet, das Feld hätte im Mist niemals Aschenbestandtheile empfangen, oder die empfangenen Aschenbestandtheile hätten keine Wirkung auf die Erträge gehabt, und ihre Zufuhr sei deshalb unnütz gewesen, so wenden wir uns mit Bedauern von ihm ab.

Wenn der Bauer fähig gewesen wäre eine echte Beobachtung zu machen, so hätte er vielleicht wahrgenommen, dass sein Misthaufen in seiner Wirksamkeit stetig abnahm, und dass sein Grossvater mit sehr wenig Mist weit mehr Kornernten bekam als er jetzt mit all seinem Mist nicht bekommt; er würde wahrgenommen haben, dass er jetzt Pflanzen in seinen Betrieb einschalten musste, die sein Grossvater nicht nöthig hatte um seine Kornfelder fruchtbar für Korn zu erhalten.

Wir haben geglaubt, dass es sich in der Landwirthschaft um die Erzeugung von Korn und Fleisch handle, und dass das Nachdenken der Leiter und Lehrer des praktischen Ackerbaues auf die zweckmässigsten Mittel gerichtet gewesen sei, die Korn- und Futterfelder in einem gleichmässigen Zustand der Fruchtbarkeit zu erhalten; wir sind jetzt durch die Schriften unserer modernen Lehrer der Landwirthschaft eines bessern belehrt: die Korn- und Fleischproduction ist untergeordnet der Mistproduction.

Für die Getreidepflanzen, so lehren sie, sei der Boden immer fruchtbar, wenn man nur Mist genug habe. „Vor Allem müssen wir Futter genug haben, dann kommt das Getreide von selbst.“ „Die Wissenschaft lehre die Landwirthschaft nicht viel, wenn sie die Landwirthe lehren wolle die Natur zu zwingen“, „wenn sie den Mist entbehrlich machen wolle“ (W. S. 127); „von dem Zwang des Fruchtwechsels wolle die

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_412.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)