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den Beharrungszustand, zurück. Er hat seine ursprüngliche Zusammensetzung wieder erreicht, und da sich sonst nichts weiter verändert hat, so muss diese Aenderung des Bodens die wahrscheinliche Ursache seiner vermehrten und wieder verminderten Fruchtbarkeit sein.“

„Der Mist besteht aus verwesenden Pflanzen und Thierstoffen, welche auch eine gewisse Menge Aschenbestandtheile enthalten; daher kann durch den Mist die Entwickelung der Pflanzen so gut gesteigert werden, wie durch die auf dem Feld verfaulenden Pflanzen.“

Aus diesen Sätzen, welche als landwirthschaftliche Grundsätze gegeben werden, würde folgen, dass sich unsere Culturfelder wie ungedüngte Wiesen verhalten; bauen wir Korn, Rüben oder Klee auf einem und demselben Feld, so hätten wir durchschnittlich ohne alle Düngung nachhaltig alljährlich das nämliche Erntequantum zu erwarten. Dies sei die natürliche Production oder der landwirthschaftliche Beharrungspunkt des Bodens!

Lassen wir die Wiesenpflanzen, das Korn, den Klee auf dem Feld absterben und verfaulen, so sammelt sich in dem Boden Mist an, wodurch er fruchtbarer wird. Wir erzielen höhere Ernten, und nehmen dadurch mehr Aschenbestandtheile als vorher hinweg, um welche der Boden ärmer wird.

Nachdem wir dies einige Jahre nach einander gethan haben, sinkt der an Aschenbestandtheilen beraubte Boden auf seinen Beharrungszustand zurück. Er hat seine ursprüngliche Zusammensetzung wieder erreicht (d. h. er enthält nicht mehr verbrennliche Stoffe wie im Anfang) und da sich sonst nichts weiter verändert hat (da auf dieses alles ankommt), so muss diese Aenderung des Bodens (die Zu- und Abnahme an verbrennlichen Stoffen) die wahrscheinliche Ursache seiner vermehrten und wieder verminderten Fruchtbarkeit sein.

Die in dem Vorstehenden aus der citirten Schrift wiedergegebenen Ansichten sind nicht die eines einzelnen Mannes, sondern mit geringen Ausnahmen die des ganzen Standes der praktischen Landwirthe. Was der Verfasser lehrt, ist nicht von ihm erfunden, sondern er giebt wieder, was man ihm gelehrt; ich habe diese Lehren aufgenommen nicht um eine rücksichtslose Kritik daran zu üben, sondern weil, ohne ein Spiegelbild der Ansichten des praktischen Mannes zu geben, meine eigenen Lehren für Viele in der Gegenwart unverständlich und in einer vielleicht nicht fernen zukünftigen Zeit zweck- und ziellos erscheinen dürften.

Man wird mir erlassen ein einziges Wort weiter hinzuzufügen; das Angeführte ist der Schlüssel zu dem Streit, der sich um die Anerkennung und Anwendung der wissenschaftlichen Grundsätze in der Praxis erhoben hat; dass sie in den Ideenkreis der praktischen Landwirthe nicht passen, wird jetzt verständlich sein.

Viele Landwirthe meinen, es handle sich um Worte und nicht um Grundsätze in diesem Widerstreit, und eine Vermittlung sei möglich; sie glauben, dass wenn sie die Wirkung der Mineralbestandtheile zugäben, so könne billigerweise auch die der verbrennlichen Stoffe von der andern Seite zugestanden werden, und damit hätte der Streit ein glückliches

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_417.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)