Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 432.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


mit ihrer Theorie sich in Uebereinstimmung befänden, dass das Pfund Ammoniak einen praktischen Werth von 12 Groschen und das Pfund Knochenmehl nur einen Groschen Werth habe. Aber der praktische Mann weiss in Wahrheit von der Wirkung des Ammoniaks oder der Salpetersäure nichts oder nur vom Hörensagen, denn dass der Guano, das Knochenmehl und das Repskuchenmehl vortreffliche Dünger seien, hat er nicht vom Agriculturchemiker, sondern der Agriculturchemiker hat es von ihm erfahren; der letztere hat nur seinen kleinen Hokuspokus dazu gethan, um von dem Sonnenschein ihrer guten Wirkung auch einige Strahlen auf sich zu lenken.



Siebenundvierzigster Brief.


Als Nahrungsmittel ist das Ammoniak der Pflanze eben so unentbehrlich als die Kohlensäure, und seine günstige Wirkung in dem Dünger ist leicht zu verstehen, wenn man sich an die des Wassers erinnert.

Das Wasser spielt in der Vegetation eine doppelte Rolle: es liefert den Pflanzen in einem seiner Bestandtheile ein unentbehrliches Element, und dann dient es, um die Bodenbestandtheile durch die Wurzeln in die Pflanze übergehen zu machen. Wenn der Boden auch noch so reich an Pflanzennahrung ist, so wachsen in heissen Tagen die Pflanzen nicht, wenn es an Wasser im Boden fehlt; die Feuchtigkeit im Boden ist die Brücke, welche den Uebergang der mineralischen Nahrung vermittelt.

Wenn es an der Zufuhr dieser Stoffe mangelt, so nehmen die Blätter weder Kohlensäure noch Ammoniak aus der Luft auf; die Vegetation steht still, obwohl die Luft in heissen Tagen reicher an Wasser ist als in kalten, aber dieses Wasser nützt der Pflanze nichts. Die sonnereichen warmen Tage, sonst die günstigsten für die Entwickelung des Gewächses, werden alsdann zu den gefährlichsten, namentlich für die Sommergewächse, welche nicht Zeit genug hatten ihre Wurzeln in die Tiefe zu treiben, wo noch Feuchtigkeit ist, die ihnen Nahrung zuführen kann. Die Gerste wird dann eine Hand hoch und schiesst in Aehren, die Kartoffeln setzen keine Knollen an. Ein einziger guter Regenschauer zur rechten Zeit ändert alles dies wie mit einem Zauberschlag, und wenn der Landwirth seine Felder beregnen lassen könnte zur rechten Zeit, wie der Blumengärtner seine Blumentöpfe wässert, so würden alle Pflanzen ein Maximum von Erträgen geben; selbstverständlich nur dann, wenn es an aufnehmbarer Nahrung nicht fehlt, denn wenn der Boden daran Mangel hat, so hat man nur ein dem Mangel entsprechendes Maximum zu erwarten. Indem also das Wasser mehr Bodenbestandtheile zuführt, nehmen die Pflanzen mehr Kohlenstoff und Stickstoff auf, ihre Entwickelung wird beschleunigt und das Erntegewicht nimmt zu.

Ganz so verhält es sich mit dem Ammoniak. Vermehren wir den Ammoniakgehalt der Luft oder des Bodens, so findet die Pflanze zu günstiger Zeit mehr von diesem Nahrungsmittel als sonst vor, und die Folge davon ist, dass in entsprechender Weise mehr Bodenbestandtheile

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_432.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)