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Das nämliche oder ein sehr nahe gleiches Verhältniss findet sich naturgemäss in den festen oder flüssigen Excrementen; beide zusammen enthalten den Stickstoff und die Aschenbestandtheile des Brodes, Fleisches etc. der verzehrten Nahrung, und man versteht mithin leicht, dass man in ganz ähnlicher Weise aus der Bestimmung des Stickstoffgehalts der Excremente ziemlich genau ihren Gehalt an mineralischen Samen und Fleischbestandtheilen ermitteln könnte.

In der Wirklichkeit ist dieses Verhältniss geändert; der Stickstoff in den Excrementen verwandelt sich in der Fäulniss in Ammoniak, von dem ein Theil durch Verdunstung, ein Theil durch Versickerung der flüssigen Jauche, noch ehe die Fäulniss begonnen hat, mit den vorzüglich wirksamen löslichen Salzen verloren geht (ein Verlust, der durch Zusatz von absorbirenden Erden vermieden werden könnte und sollte). Darum ist der Stickstoffgehalt des Inhalts der Latrinen, der Poudrette, des Stallmistes und des Guano kein richtiges Maass für ihren landwirthschaftlichen Wirkungswerth, der auf ihrem Gehalt an den Bestandtheilen der Samenasche beruht; aber von zwei Guanosorten, die man analysirt, kann man mit ziemlicher Sicherheit diejenige als die reinste ansehen, welche in Procenten das meiste Ammoniak enthält; eine jede Verfälschung vermindert diesen Gehalt; dasselbe gilt von der Poudrette, welche sehr häufig an 50 Procent Sand (Kehrsand) und fremde zur Ernährung der Gewächse unnütze Stoffe enthält, und höchst wahrscheinlich auch vom Stallmist.

Es ist deshalb nicht ungereimt, sondern wohlbegründet, zu sagen, dass der Werth der Guanosorten, der Poudrette und des Stallmistes in einem gewissen Verhältniss zu ihrem Stickstoffgehalt stehe, aber der Schluss, den man daraus gezogen hat: dass ihr ganzer Werth, ihre ganze Wirkung auf die Felder auf diesem Stickstoffgehalt beruhe, dass diese Dünger mithin in der Cultur mit gleichem Erfolg ersetzt und vertreten werden könnten durch Ammoniak und seine Salze, ist keiner Begründung fähig und eine Uebereilung. Wäre ein Landwirth auf die Empfehlung der Verbreiter dieser sogenannten Stickstofftheorie hin so thöricht, seine Felder nur zehn Jahre hinter einander mit Ammoniaksalzen oder Chili- Salpeter zu düngen, und im Vertrauen darauf, dass sie den Stalldünger, die Poudrette, den Guano ersetzen könnten, alle seine Feldfrüchte zu verkaufen, er würde nach diesen zehn Jahren ein Bettler sein; und wenn alle Landwirthe in Deutschland überein kämen, die mineralischen Bestandtheile ihres Mistes ihren Feldern nicht zuzuführen, weil nach den Versicherungen ihrer Lehrer sie daran unerschöpflich sind, so wäre die halbe Bevölkerung Deutschlands nach zehn Jahren verhungert.

Es ist überhaupt eine der niederschlagendsten Erscheinungen in der Landwirthschaft, dass in der Beurtheilung des Werthes eines Düngmittels und seiner Wirkung oft die gebildetsten Männer auf alles Urtheil und den gesunden Menschenverstand verzichten.

Man kann bei der Vergleichung der Wirkung des Guano, Knochenmehls und Chilisalpeters zur Zeit der Ernte oder nach Ablauf eines Jahres nicht einen Strich unter die Rechnung machen und sagen: der Guano oder Chilisalpeter sind bessere Dünger als das Knochenmehl, weil so viele Pfunde mehr Korn mit dem ersten geerntet worden sind als mit den andern. Der gesunde Menschenverstand lehrt, dass man

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_436.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)