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auftretenden Geissler und die um die Mitte des 13. Jahrhunderts nach dem Südosten Deutschlands sich verbreitende Secte der Brüder vom freien Geiste offenbar nur eine unbedeutende Rolle spielten[1]. Die grosse Masse der österreichischen Waldenser hat jedenfalls der Landbevölkerung und dem Handwerkerstand angehört, aus welch letzterem auch die Mehrzahl ihrer „Meister“ – d. h. der eigentlichen „Armen“, welche sich der apostolischen Armuth, Keuschheit und Wanderpredigt gelobt hatten – hervorging. Doch hören wir auch von erfolgreichen Versuchen dieser Reiseprediger, in den adelichen Familien des Landes Anhänger zu gewinnen; der Nachricht des David von Augsburg, dass auch ein staufisch gesinnter Reichsfürst zu den Waldensern Beziehungen unterhielt, haben wir bereits oben Erwähnung gethan. Dass sie andererseits auch die von der Welt und der Kirche verlassenen Kreise nicht verschmäht haben, zeigt uns die Thatsache, dass die Meister ihre Seelsorge auch den Leprosenhäusern zugewandt haben[2]. Die Conventikel oder „Schulen“ der Waldenser – in der einzigen Pfarrei Kematen gab es deren zehn, die sich wohl ausser den Filialdörfern auch noch auf Weiler und Höfe vertheilten – sind natürlich nicht als eigentliche kirchliche Gemeinden

    bei Wels, Kammer im Attergau, Hubing bei Wels. Es ist wohl zu beachten, dass die Liste nur Pfarreien (ecclesiae) enthält, und dass bei einer Reihe von Namen die Notiz „ibi scolae“ beigesetzt ist; in einzelnen Pfarreien, d. h. in deren Filialdörfern, Weilern, Höfen u. s. w. bestanden also mehrere „Schulen“, so z. B. in der Pfarrei Kematen allein deren zehn! (Flacius S. 630: in sola parochia Cammach fuerunt decem scholae haereticorum.) An Conventikel nichtwaldensischer Secten (vergl. Preger, Beiträge S. 222) dürfen wir dabei sicherlich nicht denken. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich um 1387 bei den in den piemontesischen Thälern verfolgten Waldensern (Archivio stor. italiano Ser. III, Tom. 1, parte 1, 2, 1865).

  1. Ueber die österreichischen Geissler um 1261–62 vergl. Förstemann, Die christl. Geisslergesellschaften S. 39 ff., über die pantheistischen Sectirer um die Mitte des 13. Jahrhunderts im schwäbisch-fränkischen Riess meine Mittheilung in Zeitschrift für Kirchengesch. VII, S. 503 ff. Vielleicht bezieht sich auf die letztgenannten Ketzer die Briefformel des 1312 vollendeten Formelbuches des Bernold von Kaisersheim (n. von Donauwörth), worin ein Abt dem Papste über die in der Umgebung des Klosters verbreiteten Häresien Anzeige erstattet. (Quellen zur baierischen und deutschen Geschichte. Bd. IX, Abth. 2, S. 856.)
  2. Bibl. max. XXV, S. 263 H: … docent etiam et discunt in domibus leprosorum; ib. S. 264 E: item in Newenhoffen et ibidem scholae leprosorum.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_300.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)