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zugeschickt wurden. Das gemeinsame Oberhaupt habe seinen Sitz in Mailand gehabt; ein zweiter „Obrist“ sei der Priester Johannes zu Strassburg, der dritte ein gewisser „Birkhardus“ in Böhmen gewesen. Dürfen wir die letztere Angabe als authentisch betrachten? Nach unserer Auffassung verbietet sich dies durch den ganzen Charakter der Specklin’schen Aufzeichnung, welche ganz unverkennbar mit den aus der Klosterhandschrift geschöpften Angaben verschiedene von Specklin erfundene Züge verquickt. So wird von dem Priester Johannes in ausführlicher Rede die lutherische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben und von der Unzulänglichkeit der guten Werke begründet; unter den angeblich waldensischen Glaubensartikeln finden wir die Forderung des Laienkelchs und der Priesterehe, sowie die Bekämpfung der Ohrenbeichte – was alles auf keine der am Anfang des 13. Jahrhunderts am Oberrhein auftretenden Secten passt. Dass die Inquisition, deren Acten Specklin vorlagen, keinesfalls im Jahre 1212 stattgefunden haben kann, geht schon daraus hervor, dass sie nach Specklin’s Angabe von den Dominicanern geleitet wurde, deren Orden erst im Jahre 1216 die päpstliche Bestätigung erlangte und in Strassburg wohl nicht lange vor dem Jahre 1224 sich festsetzte[1].

Die Quelle, auf welche höchstwahrscheinlich Specklin’s Notiz über das böhmische Ketzerhaupt zurückgeht, ist nicht schwer zu ermitteln. Sein „Birkhardus“ oder „Picardus“, wie ein zweiter Benutzer der Specklin’schen Handschrift liest[2], muss wohl als identisch mit dem fabelhaften „Pichardus“ angesehen werden, den zuerst Aeneas Sylvius zur Erklärung des Namens der böhmischen Picarden (Begharden) des 15. Jahrhunderts in die Kirchengeschichtschreibung einführte[3] und der, nachdem in der Folge die böhmischen Brüder den

  1. Deutsche Städtechroniken Bd. IX (Strassburg Bd. II), S. 733. Mit Recht weist Lea, A History of the Inquisition. Vol. II (1888) S. 317 Anm. den Bericht Specklin’s, dass Bischof Heinrich von Strassburg bei Gelegenheit seiner Romfahrt im Jahre 1209 dem Papste Innocenz III. und Dominicus selbst die Unterstützung des Dominicanerordens in Deutschland zugesagt und 1210 Predigermönche in seinem Gefolge nach Strassburg mitgebracht habe, als unglaubhaft zurück; es liegt hier sicherlich eine willkürliche Combination der Romfahrt des Bischofs mit dem viel späteren Auftreten der Dominicaner in Deutschland vor.
  2. Röhrich, Die Gottesfreunde und die Winkeler am Oberrhein. Zeitschrift f. histor. Theologie Bd. X (N. F. Bd. IV, 1840), Heft 1, S. 122.
  3. Historia Bohemica cap. 41 (de Adamitis hereticis): Picardus quidam ex Gallia Belgica transmisso Rheno per Germaniam in Bohemiam penetravit, qui praestigiis quibusdam fidem sibi concilians brevi tempore non parvam mulierum virorumque plebem ad se traxit, quos nudos incedere jubens Adamitas vocavit.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_321.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)