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späteren Zeit, wie z. B. die des Templerprocesses vorbildlich geworden. Der Inquisitionsbericht über die sangerhausischen Geissler vom Jahre 1454 lässt dieselben Ketzer bussfertige Gebete an Christus richten, die seinen Sturz durch Lucifer erhoffen und diesem zu Ehren die abscheulichsten Orgien veranstalten; die sittenstrengen böhmischen Brüder sind von Renegaten und Inquisitoren aller nur denkbaren sittlichen Ausschreitungen, der Weibergemeinschaft, des Teufelsbündnisses und der Verehrung eines Fliegengottes beschuldigt worden[1]; auch eine Gruppe der italienischen Fraticellen wird 1466 der Veranstaltung nächtlicher Orgien und des rituellen Kindermords für schuldig befunden[2]. Besonders aber die Waldenser sind frivolen Anklagen der erwähnten Art in den verschiedensten Ländern ausgesetzt gewesen. So erpresst ein italienischer Inquisitor im Jahre 1387 piemontesischen Waldensern durch die Folter das Geständniss, dass sie Sonne und Mond anbeten, die Gotteskindschaft Christi leugnen und in ihren Versammlungen schändliche Unzucht verüben; ganz ähnliche erzwungene Geständnisse kehren in italienischen Waldenserprocessen der Jahre 1451 und 1492 wieder [3]. Während David von Augsburg die deutschen Waldenser gegen den Vorwurf des Satansdienstes in Schutz nimmt, wird diese Anklage, sowie der, auch bei dem Passauer Anonymus und David von Augsburg angedeutete Vorwurf der Unzucht und Weibergemeinschaft wieder gegen eichstädtische Waldenser des 14. Jahrhunderts erhoben; brandenburgische Waldenser werden 1336 zu Angermünde als „Luciferianer“ abgeurtheilt und noch in dem grossen Processe gegen die pommerischen und brandenburgischen Waldenser der Jahre 1393–1394 werden diese über ihren Glauben an Lucifer befragt[4]. In den romanischen Ländern endlich war schon

  1. Vergl. meine Mittheilungen in der Zeitschrift für Kirchengesch. IX (1888), S. 114 ff. – Gindely, Gesch. der böhmischen Brüder I, 56 f., 97 f.
  2. Die Acten sind mitgetheilt von Ehrle im Archiv für Kirchen- und Literaturgeschichte des Mittelalters IV (1888), Heft 1–2, S. 110 ff.
  3. Archivio storico italiano Ser. III, T. I, pars 2, S. 18, 40 etc., 21, 39 f., 22; Rivista cristiana IX (1881), S. 363 ff.; Allix, Some remarks upon the ancient churches of Piedmont. New edition (1821), S. 340 f. – Im Jahre 1332 werden die piemontesischen Waldenser der Leugnung der kirchlichen Lehre von der Eucharistie und der Incarnation Christi beschuldigt (Raynaldus, Annales ecclesiastici ad a. 1332, Nr. 31). Die Grundlosigkeit der auch gegen die Katharer erhobenen Beschuldigung der Veranstaltung nächtlicher Orgien wird von einem Inquisitor des 13. Jahrhunderts mit Entschiedenheit betont (vergl. Molinier, Études sur quelques manuscrits concernant l’inquisition du XIIe au XVIIe siècle. Extrait des archives des missions scientifiques et littéraires T. XIV, 1887).
  4. David von Ausgsburg in Preger’s Ausgabe S. 211, 207 f.; Flac.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_324.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)