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zur Herrschaft in Italien befähigt und demnach berechtigt sein würden.

Die Einheit des mittelalterlichen Abendlandes hatte auf der Einförmigkeit seiner Cultur beruht; von der Vogelperspective aus betrachtet mochten die abendländischen Völker zur Zeit Karl’s des Grossen wie eine grosse Masse von bäuerlich arbeitenden Menschen erscheinen; die Gegensätze der Stämme verschwanden gegenüber dieser grossen gemeinschaftlichen Aufgabe; Papstthum und Kaiserthum arbeiteten im Bunde an der Erziehung der Germanen aus barbarischen Nomaden zu halbwegs gesitteten fleissigen Bauern: Recht, Glaube und Sitte des Abendlandes waren Recht, Glaube und Sitte eines Bauernvolkes.

Als diese Einheit der Cultur verschwand, wurde auch der Anspruch des Kaiserthums auf einheitliche Beherrschung des Abendlandes hinfällig. Allmählig entwickelten sich culturelle Gegensätze, die einzelnen Völker wandten sich verschiedenen Aufgaben zu, verschieden nach der Lage ihres Landes, nach ihrer individuellen Veranlagung, nach ihren historischen Schicksalen; nationale Gegensätze spalteten die einheitliche Masse; ein Oberhaupt konnte die divergirenden Stämme nicht mehr leiten.

Zuerst gingen die romanischen Völker gesonderte Wege. Die Einwirkung der erhaltenen Reste antiken Lebens, die Berührung mit den höher civilisirten Byzantinern und Arabern, der commercielle Austausch mit dem Orient zeitigten hier die frühe Entwicklung geldwirthschaftlicher Cultur. Nicht etwa als ob die grosse Masse der Bevölkerung bäuerlicher Arbeit entfremdet worden wäre; nur ein geringer Bestandtheil des Volkes braucht sich dem Handel und der Industrie zuzuwenden, um die Durchführung eines einheitlichen Tauschmittels zu ermöglichen: die entscheidende Wendung tritt dann ein, wenn der Staat sich des Geldes für die Befriedigung seiner Bedürfnisse bemächtigt. Dieser Umschwung nun vollzog sich bei den romanischen Völkern und im halbromanischen England im Laufe des 11. und 12. Jahrhunderts. Es wird zunächst ein engeres Gebiet, die königliche Domäne, geldwirthschaftlich organisirt und durch rechenschaftspflichtige Beamte oder durch Pächter verwaltet. In der Domäne liegt die finanzielle Macht des Königthums. Daneben steht ein feudales Kriegsheer: in den Contingenten der Barone, welche

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_01_336.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)