Seite:De DZfG 1889 02 019.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

beiden Hauptäste, welche sich zu dem Wurzelstamm der neuen Idee zusammenschlossen, mag es gestattet sein, hier nachzuweisen.

Jean Bodin war es gewesen, der von antiken Vorstellungen befruchtet[1] um die Mitte des 16. Jahrhunderts den Satz von der Abhängigkeit des Menschen von klimatischen und tellurischen Bedingungen in seiner „Methodus ad facilem historiarum cognitionem“ (1566) zuerst ausgesprochen hatte. Auf seinen Schultern stand Montesquieu, als er zwei Jahrhunderte später in der Schrift über die Ursachen der Grösse und des Niedergangs der Römer (1734) den Einfluss der natürlichen, in örtlichen, zeitlichen, nationalen Verschiedenheiten gegebenen Verhältnisse auf den Gang der römischen Geschichte zu erweisen unternahm und im „Esprit des Lois“ (1749) allgemein die geographischen Grundbedingungen der verschiedenen Staatsformen entwickelte. Aber er blieb noch bei der Einzelerscheinung stehen, ihm fehlte der Begriff einer das Ganze zusammenschliessenden Entwicklung. Und doch war dieser Begriff damals schon gefunden. Es ist Leibniz’ens unvergängliches Verdienst gewesen, ihn philosophisch ausgeprägt und als die lex continuationis zum Grundprincip seiner Metaphysik gemacht zu haben. Sein Satz, dass im Verlaufe einer Entwicklung jede Erscheinungsform das Ergebniss aller früheren und die Ursache aller künftigen sei, musste in seiner Anwendung auf die Auffassung der Geschichte von den weittragendsten Folgen werden.

Aber ich halte inne. Wir stehen bereits an der Schwelle der neuen Zeit. Derjenige, welcher den ersten Schritt hinüberthat, war Winckelmann. Seine Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) ging aus der Vermählung der Ideen von Leibniz und Montesquieu hervor. Sie gründet sich auf den Gedanken, dass die Entwicklung der griechischen Kunst abhängig war von dem Werden und Wachsen, von der Blüthe und dem Verfall des Volkes, welches sie hervorbrachte. Wie wenig die Zeitgenossen sich fähig erwiesen, diesen Gedanken sogleich aufzunehmen, zeigt das Beispiel Lessing’s, dessen Laokoon zwei Jahre später erschien (1766): seine Augen, sonst so hell und durchdringend, in diesem Punkte waren sie gehalten, er machte keinen

  1. Vergl. Pöhlmann, Hellenische Anschauungen über den Zusammenhang zwischen Natur und Geschichte S. 75 Anm.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_019.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)