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der Wissenschaft Heil erwachsen. Denn gerade die kritische Schärfe war Müller’s schwächste Seite. Und das vor Allem war Noth, dass die historische Methode sich frei machte von der rationalisirenden Kritik der Aufklärungsepoche und mit vollem Bewusstsein den genetischen, im eigentlichsten Sinne historischen Gedanken in sich aufnahm und verarbeitete. Ein Orientalist und Theologe war es, der, Herder’schen Spuren folgend, hier die Bahn brach, Joh. Gottfr. Eichhorn, dessen Bibelkritik die Zusammensetzung des Pentateuchs, speciell der Genesis, aus mehreren selbständigen historischen Werken zu erweisen unternahm[1]. Ihm folgte Friedr. Aug. Wolf mit seinen Prolegomena zu Homer (1794), welche die Philologie zu einer geschichtlichen Wissenschaft machten. Hier zuerst war es ausgesprochen, dass auch die Ueberlieferung etwas Gewordenes sei, eine Geschichte habe, und man weiss, mit welcher freudigen Zustimmung diese Uebertragung des genetischen Gedankens auf ein neues Gebiet von Goethe aufgenommen wurde[2]. Aber fast zwei Jahrzehnte noch sollten vergehen, ehe Niebuhr mit seiner römischen Geschichte (1811) auftrat und die neugewonnene Erkenntniss auf dem engeren Gebiet der politischen Geschichte zur Anwendung brachte. Freilich nun auch gleich mit einer Meisterhaftigkeit und genialen Sicherheit, welche über die Versuche der Vorgänger weit hinaus griff und nach Macaulay’s Zugeständniss Epoche machte in der Geschichte der europäischen Intelligenz[3].

Kritik an den überlieferten Thatsachen der Geschichte hatte man längst geübt, selbst das autoritätsgläubige Mittelalter bietet nicht wenige Beispiele hierfür, aber erst das achtzehnte Jahrhundert hatte den kritischen Verstand auf den Richterstuhl erhoben und den Zweifel mit Methode betrieben. Man gefiel sich in der Bestreitung der Glaubwürdigkeit aller Tradition und war gross darin, ihre inneren Widersprüche aufzudecken. Das Ergebniss

  1. Eichhorn’s Einleitung ins alte Testament erschien in erster Auflage 1780–83, in zweiter 1787.
  2. Elegie: Hermann u. Dorothea; Br. an Schiller, 19. April 1797.
  3. The appearance of the book is really an era in the intellectual history of Europe: Macaulay an Napier, 19. Aug. 1830. (Trevelyan, Life and letters of Lord Macaulay I, 195. Wegele, Gesch. der Historiographie S. 1006.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1889, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1889_02_027.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)