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herrschte?“ Meint er etwas anderes als die Kantische Legalität, wenn er in seiner drastischen Weise den Bürger dieses Idealstsaates dem Raubthiere vergleicht, das „mit einem Maulkorb so unschädlich ist, wie ein grasfressendes Thier“? Sein Unterschied von Kant ist auch hier im Grunde nur eine Folge seines Pessimismus. Denn hinter den Uebeln, welche dieser Staat beseitigen würde, sieht er, darin einem verzogenen Kinde, das durch nichts zufriedengestellt werden kann, vergleichbar, alsbald die Langeweile des Schlaraffenlandes auf die arme Menschheit lauern[1]. Der Staatsvertrag wird erst dann eine Wahrheit, wenn sich alle „den Schmerz des Unrechtleidens dadurch ersparen, dass sie dem durch das Unrechtthun zu erlangenden Genuss entsagen“. Solange jedoch dieses Problem zu keiner reinen Lösung gekommen ist, nehmen wir an allen Staaten eine Tendenz entweder zur Anarchie oder zur Despotie wahr, zu dieser bei den Monarchien, zu jener bei den Republiken, während der Mittelweg der constitutionellen Monarchie zur Herrschaft der Factionen tendirt. So sehr nun auch Schopenhauer überzeugt ist, dass auf Erden nicht das Recht, sondern die Gewalt herrsche, von welcher man nur wünschen könne, dass sie mit dem Rechte verbunden sei, so hebt er doch immer wieder die monarchische Regierungsform als die dem Menschen natürliche hervor[2]. Der niedrige Utilitarianismus, welcher zum Schaden von Künsten und Wissenschaften in den Vereinigten Staaten, als der grössten Republik unserer Zeit, herrscht[3], empört seinen vornehmen Sinn, aber auch er verkennt nicht, dass die zur grösseren Hälfte aus Sklaven bestehende Bevölkerung Bedingung der in Künsten und Wissenschaften blühenden Republiken des Alterthums war. Fügen wir noch hinzu, dass seine Republik des Plato in einer Despotie der Weisen und Edlen einer Nation bestünde, „erzielt auf dem Wege der Generation, durch Vermählung der edelmüthigsten Männer mit den klügsten und geistreichsten Weibern“, so haben wir die Hauptzüge seiner „Politik“ wiedergegeben[4].

  1. W. a. W. I, 407–14. Memorab. 736 n. 302.
  2. W. a. W. I, 406. Parerga II, 270.
  3. Viel unverblümter heisst es in den „Aphorismen“ (Aus Sch.’s. Nachlass S. 385): „Der eigentliche Charakter der Nordamerikaner ist Gemeinheit: sie zeigt sich an ihnen in allen Formen, als moralische, intellectuelle, ästhetische und gesellige Gemeinheit.“
  4. Parerga II, 272 fg., vgl. W. a. W. II, 624.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_061.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2022)