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das Waldenserthum bei der Erklärung des beispiellosen Erfolges des Husitischen Reformversuches ausser Betracht zu lassen. Nach den Ergebnissen der werthvollen Untersuchungen Loserth’s[1] haben wir gewiss allen Grund, den Einfluss der Wiclifischen Doctrinen auf Böhmen seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts als einen überaus tiefgreifenden zu betrachten; die neu herausgegebenen Schriften Wiclif’s haben den Anschluss nicht nur der Utraquisten, sondern auch der Taboritischen Theologen an den Englischen Reformator um vieles deutlicher, als dies bisher möglich war, erkennen lassen. Hand in Hand damit geht aber auch die Erkenntniss, dass die Uebereinstimmung Wiclif’s mit dem Reformprogramm des Waldenserthums eine weit engere ist, als man bisher vermuthen konnte; auch solche Sätze, welche man als ausschliesslich Waldensische anzusehen hatte, wie namentlich das absolute Verbot des Tödtens[2]und Kriegführens[3], die Bekämpfung der kirchlichen Lehre vom Fegfeuer[4], die Verwerfung der Universitätsstudien und der akademischen Grade[5], finden wir auch in Wiclif’s Schriften, wenn auch zum Theil nicht mit der gleichen Bestimmtheit, wie von den Waldensern, vorgetragen. Dazu kommt, dass die Englischen Lollarden gerade in solchen Punkten, in denen auch das Waldenserthum von der katholischen Kirche abweicht, über ihren Meister noch hinausgegangen, und dass

  1. Vgl. Loserth, Hus und Wiclif (1884). Derselbe, Der Kirchen- und Klostersturm der Husiten und sein Ursprung, in der Zeitschrift f. Gesch. u. Politik 1888, Heft 4. Derselbe, Wiclif’s Buch „Von der Kirche" und die Nachbildungen desselben in Böhmen, in den Mittheilungen für Gesch. der Deutschen in Böhmen XXIV, S. 381 ff., sowie desselben Gelehrten Besprechung der Abhandlung Preger’s über das Verhältniss der Taboriten zu den Waldesiern, in den Göttingischen gelehrten Anzeigen, 1889 Nr. 12.
  2. Vgl. Loserth in den Gött. Anzeigen 1889 S. 496.
  3. Am weitesten geht Wiclif in der Schrift De officio regis (Ausg. der Wiclif Society von Pollard und Sayle S. 273), welche auch den Widerstand gegen ungerechten Angriff als unchristlich verwirft: item videtur, quod omnis homo debet suffere quemlibet volentem occidere gentem vel patriam devastare, sic videlicet, quod non det occasionem ad facinus – – – fugere autem ab una civitate in aliam precipitur, sed resistere violente non videtur maturioribus Cristi discipulis convenire.
  4. Loserth in den Gött. Anzeigen S. 498 ff.
  5. Dialogus (ed. Pollard) cap. 26 S. 53: cum ergo Christus non ordinavit istas universitates sive collegia, manifestum videtur, quod ista, sicut graduaciones in illis sunt vana gentilitas introducta.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1890, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1890_03_387.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)