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Wir haben also dankbar davon Act zu nehmen, dass der G.-Unterricht von Tertia an wie bisher vorwärts und nicht rückwärts schreiten soll, und unsere Kritik demnach auf einen anderen Ton zu stimmen als sonst nothwendig wäre; aber es scheint uns doch nicht gerathen, die Frage desshalb leicht zu nehmen; denn bei der Unberechenbarkeit sich kreuzender Einflüsse und Einfälle stehen wir vielleicht eines schönen Tages plötzlich vor der Ausdehnung der Methode auf unseren ganzen G.-Unterricht. Hat sich doch sonst schon dieser Gedanke gerührt und vertritt soeben Herm. Grimm in einem Artikel „G.-Unterr. in aufsteigender Linie“ (Dt. Rs. 68, 437–56) die Durchführung des Princips in der Art, dass der Unterricht in der Sexta mit der jüngsten Vergangenheit seit 1870 beginnt, und erst in der Prima zum Griechischen Alterthum gelangt. Das wäre also der Weg von Sedan nach Mantinea ganz im grossen; doch in der einzelnen Classe soll nach Grimm vorwärts gegangen werden. Der nächste Reformer wird vielleicht beide Methoden zu einer höheren Einheit zusammenschweissen. Principiis obsta!

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Es ist ja gewiss nichts so verkehrt, dass es nicht einen „berechtigten Kern“ enthielte. Diesen wird man hier in der Forderung finden dürfen, dass der histor. Unterricht an lebendige Interessen anzuknüpfen hat. Der Zusammenhang der Vergangenheit mit der Gegenwart, die Bedingtheit der heutigen Verhältnisse durch die frühere Entwicklung soll kräftiger, als das zur Zeit wohl meist geschieht, hervorgehoben werden. Es ist dies eine der beiden Seiten und zwar die bedeutsamere, von der aus das Interesse des Schülers und sein historischer Sinn geweckt werden müssen. Unter diesem Gesichtspunkt wird es gewiss oft empfehlenswerth sein, in einer Einleitung von dem Gegenwärtigen und Bekannten rückwärts zu schreiten, in raschem Ueberblick das Problem der Entwicklung aufzuzeigen, um dann auf umgekehrtem Wege die Lösung des Räthsels zu erbringen.

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Etwas ganz anderes ist es um die rückwärts gewandte Geschichtsdarstellung, welche die hier durchgeführte Methode will. Es wird durch sie zunächst jede Continuität aufgehoben. Natürlich ist ein consequentes Rückwärtsschreiten einfach unmöglich; es müssen Perioden gebildet werden, innerhalb deren vorwärts gegangen wird. Die ganze Darstellung wird also eine sprunghafte, stets zwei Schritte zurück und einen vorwärts, wie bei einer Springprocession: 1888–91, 1888, 1857–88, 1840–61, 1797–1840 u. s. w. ist der Gang der Darstellung. Der Schüler wird also fortwährend an neue Ausgangspunkte versetzt, für deren Verständniss ihm alle Vorbedingungen fehlen. Man stelle sich nur vor, dass irgend eine „Erzählung für die reifere Jugend“ in diesem Stile abgefasst wäre. Würde man nicht das Erzählertalent des Verfassers höchst stümperhaft finden? Und hier ist der Fehler ein viel schwererer; denn er berührt geradezu den innersten Kern der Historie. Der Gedanke zusammenhängender Entwicklung wird unterdrückt; eines der Hauptziele des geschichtlichen Unterrichts, das Problem der Freiheit und Bedingtheit menschlichen Handelns zuerst dem Empfinden, dann dem Verständniss des Schülers nahe zu führen, wird direct geschädigt. Man wende nicht ein, dass so hohen Amtes sich der Unterricht in der Sexta und Quinta doch nicht unterwindet und dass sich falsche Vorstellungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_193.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2023)