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ihren inneren Gegensätzen und den Kämpfen, welche daraus entstehen, beruht nach ihm die welthistorische Entwicklung. Aber sie beruht nicht minder auf dem wunderbaren Eingreifen individueller Momente. Denn „keine Lehre bekehrt die Welt, sondern eine grosse Persönlichkeit“[1] So kommt es, dass die grossen Gestalten der Geschichte als „der Ausdruck einer auch ausser ihnen vorhandenen allgemeinen Tendenz erscheinen“ und zugleich doch wieder einer moralischen Weltordnung angehören, in der sie ganz ihr eigen sind[2].

Auch Ranke glaubt wie Goethe und Humboldt an die unendliche Mannigfaltigkeit von Entwicklungen, welche die Menschheit in sich birgt. Auch er glaubt, dass das Leben der Menschheit nach Gesetzen verlaufe, „die uns unbekannt sind, geheimnissvoller und grösser als man denkt“. Aber eben darum verwechselt er nicht Glauben und Wissen und hütet sich, die Begebenheiten der Geschichte, die „sich in dem Zusammentreffen der individuellen Kraft mit den objectiven Weltverhältnissen entwickeln“, in ein System zu bringen und unbekannte, göttliche zu menschlichen, logischen Gesetzen zu erniedrigen.

Die göttliche Weltregierung ist seine Voraussetzung. Aber „als Diener der Wissenschaft sucht er – um Gustav Freytag’s schönen Worten zu folgen[3] – das Göttliche bescheiden in grossen Bildungen zu erkennen, welche, wie gewaltig sie den Einzelnen überragen, doch sämmtlich am Leben des Erdballs haften“. Und so gewissenhaft geht er zu Wege, so eindringlich schärft er ein, dass sich die göttliche Allmacht nicht durch ein übernatürliches Eingreifen in den naturgemässen Lauf der Dinge kundgebe, dass ihm, der in seinen jungen Jahren selbst einmal über die Auferstehung Christi gepredigt hat[4], ein Jesuit alles

  1. Lebensgeschichte 570, vgl. Päpste 7. Aufl. (1878) 2, 23: „Wenn eine neue geistige Bewegung die Menschen ergriffen hat, ist es immer durch grossartige Persönlichkeiten, durch die hinreissende Gewalt neuer Ideen geschehen.“
  2. Vorrede zu Wallenstein.
  3. Bilder aus der Deutschen Vergangenheit. 9. Aufl. 1, 26.
  4. F. H. Ranke, Jugenderinnerungen 217. Leopold predigte danach am Ostermontag 1822 in Donndorf in der Mette vom Lesepult vor den Altarstufen aus über den Auferstandenen, wie er die Siegesfahne schwingt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_252.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2023)