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einer derartigen Fiction dadurch darthun, dass man zeigt, es können gewisse Rechtsinstitute oder -verhältnisse gar nicht anders als unter Annahme derselben erklärt werden, und dies ist der einzige Weg, den Sohm zum Beweise einschlägt. Wir müssen von vornherein geltend machen, dass es recht misslich ist, wenn gerade die Thatsache, die man durch eine Hypothese erklären will, zugleich die einzigen Beweise für deren Berechtigung hergeben soll, wie es hier der Fall ist, doch kann immerhin die Erklärung der Thatsache durch die Hypothese so einzig möglich und unbedingt einleuchtend sein, dass dadurch die letztere zugleich als berechtigt erwiesen wird. So liegt es hier nun keineswegs. Die Thatsache, um die es sich handelt, ist nämlich die nach Stadtrecht herrschende öffentliche Strafe der königlichen Bannbusse für schwere Vergehen in der Stadt: diese eben erklärt Sohm, wie wir wissen, als Folge der Fiction von der Anwesenheit des Königs in der Stadt. Allein diese Erklärung ist weder die einzig mögliche, noch ist sie unbedingt einleuchtend. Sie ist nicht die einzig mögliche: Jedermann weiss, dass bisher eine mindestens ebenso zulässige andere Erklärung gegolten hat[1], und so lange Sohm die Zulässigkeit derselben nicht widerlegt hat, was er gar nicht versucht, kann seine Hypothese nicht als unentbehrlich, nicht durch solche Unentbehrlichkeit als bewiesen gelten. Sie ist ferner durchaus nicht einleuchtend: es bleibt uns geradezu ein Räthsel, wie es überhaupt möglich sein soll, dass in diesem so wichtigen Punkte des Stadtrechts die volksrechtliche Anschauung gegen die amtsrechtliche habe aufkommen und herrschen können, da ja doch nach Sohm von Anfang an das Stadtrecht das Recht der Königsburg, die Stadt des Königs Eigenthum sein soll, und da Sohm S. 31 ausdrücklich sagt, die ursprüngliche amtsrechtliche Vorstellung sei im 10. und 11. Jahrhundert (da man die Städte urbes regales nannte) „noch frisch, im allgemeinen Rechtsbewusstsein lebendig“ gewesen. Wer ist es denn, der die volksrechtliche Vorstellung inzwischen gehegt und vertreten und ihr entsprechend das Stadtrecht gebildet hat? Wie soll man sich die Entstehung dieses Stadtrechts aus volksrechtlicher Anschauung heraus denken? Statt einer Erklärung

  1. Vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgesch. Bd. VI, 453 ff., Bd. VII, 391; R. Schröder, Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte (1889) S. 705 f.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1891, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1891_06_261.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2023)