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Gattin; gesetzliche Anerkennung unehelicher Kinder als nothwendige Ehrenpflicht des Vaters kennen erst Sitte und Recht des 13. Jhs. Noch war der Ehemann absoluter Herr über das Schicksal der Seinen; erst in zweiter Linie standen seine Pflichten als liebender Vater und Gatte. Dementsprechend war das Schicksal der Frau eng begrenzt, und die Erziehung der Kinder verlief in den starren Formen absoluten Gehorsams[1]. Nicht die freien Triebe der Liebe gaben dem Menschen des 10. Jahrhs. das Gepräge, nicht Pietät beherrschte zunächst das sittliche Leben; Autorität und Herrschaft waren die wesentlichen Triebkräfte für die Ausgestaltung des persönlich-sittlichen Daseins und der Gesellschaft. Nur von diesem Gesichtspunkte aus wird man die eigenartige, typische Gebundenheit der Persönlichkeit verstehen, wie sie im sittlichen, intellectuellen und ästhetischen wie nicht minder im religiösen Dasein der Ottonenzeit uns entgegentritt.


III.

Die Sittlichkeit ist nur da individuell, wo sie auf Spontaneität, auf gesunder Anwendung einer hochentwickelten Freiheit des Willens, beruht. In Zeiten niedrigerer Cultur wird sie durch Sitte und Recht ersetzt, in noch früheren Perioden durch das Recht allein, insoferne noch jeder Grundsatz der Sitte eine volle rechtliche Fassung erhält, die ihn in der stricten Form eines absoluten Gebotes oder Verbotes erscheinen lässt.

Das Zeitalter des Deutschen[WS 1] Stammeslebens war schon hinaus über eine völlig rechtliche Fassung sittlicher Vorschriften, aber noch immer bewahrten seine sittlichen Begriffe eine höchst eigenartige, formale Gebundenheit.

Als König Heinrich I.[WS 2] und König Karl von Westfranken[WS 3] im Jahre 921 einen Bund auf dem Rheine bei Bonn schliessen, da schwören sie sich gegenseitig durch den Mund ihrer Getreuen: Ich werde von heut ab meinem Freunde Freund sein, wie nach Recht der Freund seinem Freund sein muss in bestem Wissen und Können, doch nur unter der Bedingung, dass er mir ebendenselben

  1. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass trotzdem ein glückliches Familienleben, nur in andern als den modernen Formen, möglich war. Mit Recht spricht Nitzsch in seiner Deutschen Geschichte wiederholt von dem schönen Familienleben der frühern Liudolfinger. Man vgl. namentlich Vita Hathumod. c. 19 und 21.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Deutchen
  2. Heinrich I. war von 919 bis 936 König des Ostfrankenreiches.
  3. Karl von Niederlothringen (* 953; † nach 991) stammte aus dem westfränkischen Zweig des Geschlechts der Karolinger; zu dieser Zeit im Westfrankenreich die herrschende Königsdynastie.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_011.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)