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Da nun die Römischen Truppen, welche an der ungeheuren Grenzlinie von Brittannien bis zum Nil und Euphrat vertheilt lagen, niemals alle zu einem gemeinsamen Wahlact versammelt werden konnten, so musste jeder Theil des Heeres als Vertreter des Ganzen dienen, d. h. jede Soldatenbande von beliebigem Umfange durfte sich nach Gutdünken ihren Kaiser machen. Otho wurde von dreiundzwanzig Unteroffizieren zum Imperator ausgerufen, und doch ist das formelle Recht seiner Erhebung nicht angezweifelt worden. Usurpatoren im Rechtssinne hat es also auf dem Römischen Throne niemals gegeben und niemals geben können; denn ohne militärische Unterstützung konnte keiner daran denken, nach der Krone zu greifen, und wer eine Anzahl Soldaten für sich hatte, konnte immer auch in der vorgeschriebenen Form Imperator werden. Ob er später die tribunicische Gewalt, das Oberpontificat und die andern Attribute des Kaiserthums noch dazu gewann, hing von seiner Anerkennung in Rom ab. Aber selbst wenn diese ihm dauernd versagt blieben, war sein Imperium darum nicht minder rechtsgiltig; denn die Bestandtheile der Herrschermacht wurden ja alle gesondert verliehen, und das Fehlen des einen bildete kein Hinderniss für den Besitz des andern.

Wie bedenklich es war, den Soldaten ein solches Recht zuzugestehen, ist den Kaisern selbst gewiss am wenigsten verborgen geblieben; doch forderten die Umstände gebieterisch seine Anerkennung. Denn viele Herrscher, darunter auch mehrere, die eine Dynastie gründeten, wie Claudius, Vespasian, Hadrian, Severus, waren durch Acclamation des Heeres auf den Thron gelangt. Hätten sie oder ihre Nachkommen diese Form der Kaiserwahl für ungiltig erklärt, so hätten die einen sich selbst, die andern ihre Rechtsvorgänger damit zu Usurpatoren gestempelt. Ueberdies scheint jenes Recht gefährlicher, als es thatsächlich war. Denn hatte erst ein Herrscher sich längere Zeit hindurch mit Ehren im Besitze der Macht zu erhalten vermocht und hinterliess dann bei seinem Ableben legitime Erben, so war das dynastische Gefühl der Soldaten immer stark genug, um Usurpationen entweder ganz auszuschliessen oder im Keime zu ersticken. Nur beim Aussterben einer Dynastie führte das militärische Wahlrecht, das dann meist von mehreren Heeren zugleich in verschiedenem Sinne ausgeübt zu werden pflegte, fast regelmässig zu Bürgerkriegen. Als nun gar nach dem Tode Caracallas sich mehr als ein halbes Jahrhundert lang kein Kaiser dauernd zu behaupten,

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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_055.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2023)