Seite:De DZfG 1892 07 056.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

geschweige denn eine Dynastie zu gründen vermochte, da enthüllte sich jenes thörichte Wahlprincip erst in seiner ganzen Furchtbarkeit. Jedem schien jetzt die Herrschaft zugänglich; unzählbare Ehrgeizige befragten heimlich Wahrsager und Zeichendeuter, ob sie ihnen nicht beschieden sei, und stifteten, wenn sie die ersehnte Zusage erhielten, Verschwörungen und Morde an. Durch keine eingewurzelte Loyalität mehr gebändigt, machten die Truppen jeder Unzufriedenheit, die sich unter ihnen regte, durch eine Kaiserwahl Luft. Noch aus den letzten Jahren Diocletians wird uns folgende sehr charakteristische Thatsache überliefert[1]. In Seleucia war eine Cohorte mit Hafenarbeiten beschäftigt, bei welchen die Soldaten nach ihrer Meinung überanstrengt wurden. Flugs riefen sie ihren Tribunen Eugenius zum Kaiser aus, bedrohten den Widerstrebenden mit dem Tode und kleideten ihn, als er aus Furcht nachgab, in einen Purpurmantel, welcher dem Götterbilde eines benachbarten Tempels geraubt wurde. Die erste That der neuen Regierung war, dass die umliegenden Dörfer und Landhäuser gründlich ausgeplündert wurden und die kühnen Streiter sich an den erbeuteten Weinvorräthen bis zur Bewusstlosigkeit betranken. Taumelnd zog das Kriegsheer, ganze 500 Köpfe stark, nach Antiochia, um für seinen Kaiser die Hauptstadt der Provinz zu erobern; doch machte die tapfere Einwohnerschaft noch an demselben Abend dessen Herrlichkeit ein Ende, indem sie die Bande in den Strassen der Stadt niederhieb. Trotzdem liess Diocletian sowohl in Seleucia, wo der Aufstand ausgebrochen war, als auch in Antiochia, wo er sein Ende gefunden hatte, eine ganze Anzahl der Vornehmsten als verdächtig hinrichten. Blut genug kostete also auch dieser Mummenschanz, obgleich er verhältnissmässig harmlos blieb, und wie oft hatte die Zuchtlosigkeit der Soldatesca noch ganz andere Folgen. Erhoben doch die Heere das Kaisermachen geradezu zum lucrativen Geschäft. Denn da jeder neue Imperator seine Wähler unter der Maske eines freiwilligen Geschenkes blank und baar bezahlte – oft mit Summen, die für jeden einzelnen Soldaten ein Capital bedeuten mussten –, so lagen recht häufige Regierungswechsel im Interesse der Landsknechtschaaren, mochte auch das Reich darüber zu Grunde gehen. Jeder Usurpator sah

  1. Liban. Antioch. I p. 324; ad Theod. de sedit. p. 644; post reconc. p. 660. Dass der Aufstand in die letzte Zeit Diocletians fiel, ergibt sich aus Euseb. hist. eccl. VIII 6, 8.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_056.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2023)