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Viele Gründe mögen zusammengewirkt haben, dass Diocletian nicht, wie alle seine Vorgänger, seine Residenz in Rom nahm. Wahrscheinlich war der entscheidende, dass dem Manne von niedriger Geburt und sehr geringer Bildung der stete Verkehr mit den vornehmen Herrn Senatoren trotz ihrer Kriecherei unbehaglich gewesen wäre[1]. Freilich wird er dies gewiss keinem andern, vielleicht nicht einmal sich selbst eingestanden haben, um so mehr als er auch einen zweiten, sehr ostensiblen Grund besass. Der oberste Feldherr gehörte an die Grenzen des Reiches, in die Mitte seiner Krieger oder doch in ihre Nähe, um jederzeit zu Vertheidigung und Angriff bereit zu sein; nicht in dem üppigen Treiben der Hauptstadt war sein gegebener Platz. Wenn er Nicomedia zu seinem bevorzugten Standquartier erhob, so lag dies wohl in erster Linie daran, dass es zwischen den beiden schwer gefährdeten Grenzen der Donau und des Euphrat ungefähr in der Mitte lag. Aber weilte er hier auch gerne, so war doch sein Aufenthalt immer nur vorübergehend. Principiell besass er gar keine Residenz, sondern war immer dort, wo das Reich seiner bedurfte. Hatte man den Hof bis dahin Palatium genannt, weil auf dem palatinischen Hügel die ständige Wohnung des Kaisers war, so erhielt er jetzt den Namen Comitatus, d. h. Reisebegleitung. Ein stetes Hin- und Herreisen sollte eben der normale Zustand des Herrschers werden, damit er überall zum Rechten sehen, namentlich aber alle seine Kriege selbst führen könne.

Dies erkannte Diocletian als gebieterische Nothwendigkeit, nur war leider das Kriegführen gerade seine Sache nicht, wie sich gleich nach seiner Erhebung zeigte. In der Schlacht, in welcher er den neugewonnenen Thron vertheidigen musste, wurde er schmählich von Carinus geschlagen; und nur dass dieser im Augenblicke des Sieges dem Mordstahl persönlicher Feinde erlag, entschied den Kampf schliesslich doch noch zu Gunsten des Usurpators[2]. Schneller Entschluss und kühnes Beharren sind eben die wichtigsten Eigenschaften des Feldherrn; ein Grübler und Pläneschmied, der alle Möglichkeiten ängstlich erwägt und jeden Augenblick seine Meinung ändert, wird nie dazu geeignet sein. Es ist nicht das geringste Verdienst Diocletians, diese seine Unzulänglichkeit sogleich erkannt zu haben. Er hütete sich fortan,

  1. Vgl. Lact. de mort. pers. 17.
  2. Vict. Caes. 39, 12; epit. 38, 8; vgl. Zos. I 73.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_060.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2023)