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Flucht verwandelt. Und gesetzt, Maxentius stellte sich wirklich zur Schlacht, was sehr unwahrscheinlich war; gesetzt, er wurde besiegt und liess die ganze Hälfte seiner Armee auf dem Felde liegen, was noch weniger Wahrscheinlichkeit hatte: sobald er nur die zweite Hälfte nach Rom zurückzuführen vermochte, stand die Sache genau wie vorher. Im Schutze sicherer Mauern hätte sein geschlagenes Heer den Muth wiedergefunden; der Macht Constantin’s wäre es noch immer überlegen gewesen, und eine Belagerung blieb nach wie vor unmöglich.

Aber der Zug nach Rom war nicht nur ein verzweifeltes Unternehmen; er war auch keineswegs nothwendig. Endlich mussten die Kornvorräthe des Maxentius doch verbraucht sein, und sobald dies eintrat, zwang ihn der Hunger, selbst nach Oberitalien vorzubrechen. Wurde er aber hier, fern von seinen uneinnehmbaren Befestigungen, geschlagen, so konnte sein Heer vielleicht abgeschnitten oder durch die Verfolgung aufgerieben werden, ehe es nach Rom zurückgelangte. Und siegte er, so war Constantin seiner Operationsbasis näher, konnte also schneller und leichter Gallische Reserven herbeiziehen, welche das Kriegsglück vielleicht wendeten. Er brauchte also nur stehen zu bleiben, um den Kampf unter viel günstigeren Bedingungen aufnehmen zu können. Freilich hätte er noch Monate darauf warten müssen; aber da er mit Licinius im Bündniss stand, drohte ihm damals von Osten ja kein Angriff, und die Gefahr an der Rheingrenze, so sehr sie den pflichttreuen Kaiser zu schleuniger Entscheidung antreiben mochte, war doch auch kein ernstliches Hinderniss. Denn durch die gefangenen Soldaten des Maxentius, welche zwar nicht zum Kampfe gegen ihren Herrn, wohl aber gegen die Barbaren zu brauchen waren und später thatsächlich dazu gebraucht worden sind[1], konnte das Rheinheer eine Verstärkung erhalten, die an Zahl, wenn auch nicht an Güte, den in Italien abwesenden Truppen wahrscheinlich gleichkam. Der einzige Kriegsplan, welchen die gesunde Vernunft billigen konnte, hiess also abwarten; wenn Constantin, der sonst seine Mittel sehr klug zu wählen wusste, trotzdem in tollkühner Ungeduld auf ein Ziel losstürmte, das nach menschlichem Ermessen unerreichbar war, so liess er sich eben nicht von gesunder Vernunft leiten, sondern von visionärer Eingebung.

  1. Eumen. Paneg. IX, 21.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_07_312.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)