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abgestuft werden. Um sich zu dem Amte eines Archon zu melden, soll ein Vermögen von mindestens zehn, für die Qualification zum Strategen ein Vermögen von mindestens hundert Minen erforderlich gewesen sein. Nun waren aber noch in der Schlacht bei Marathon die Strategen dem Commando eines der Archonten unterstellt. Ist es wohl denkbar, dass man an den Höchstcommandirenden geringere Anforderungen gestellt haben sollte, als an die ihm untergebenen Officiere? Erst nach den Perserkriegen hat das Amt der Archonten jede thatsächliche Bedeutung verloren, während das der Strategen an Wichtigkeit gewann. Wer im fünften Jahrhundert für die verschiedenen Beamten einen ihrer thatsächlichen Stellung entsprechenden Census hätte einführen wollen, der wäre ganz correct verfahren, wenn er von den Strategen ein zehnmal so hohes Vermögen verlangte wie von den Archonten. Nun ist es oft genug vorgekommen, dass ein Historiker die Zustände seiner eigenen Zeit bewusst oder unbewusst in die Vergangenheit übertrug. Das hat auch derjenige Historiker gethan, welcher Drakon, einen Gesetzgeber des siebenten Jahrhunderts, zum Urheber einer Verfassung machte, die auf die Verhältnisse des fünften Jahrhunderts passte.

Dass ein Schriftsteller, der von der vorsolonischen Zeit eine durchaus verkehrte Vorstellung hatte, die angebliche Verfassung Drakon’s ersonnen hat, bestätigen die weiteren Anstösse, die sich in dieser Verfassung finden. Befremden muss es schon erregen, dass Drakon überhaupt den Wohlstand der Bürger mit dem Massstabe des Geldes gemessen, auch Vermögensstrafen in Geld normirt haben soll. Denn wir wissen aus einer glaubwürdigen Quelle, dass in seinen Gesetzen Viehbussen angeordnet waren, dass mithin zu seiner Zeit in Attika, mochten auch einzelne Münzen fremder Staaten im Umlauf sein, doch noch immer das Vieh als gesetzlicher Werthmesser diente. Ueberhaupt aber enthält die Drakon zugeschriebene Verfassung nichts, was den primitiven Zuständen der vorsolonischen Zeit entspräche, dagegen Vieles, worin wir die entwickelten Verhältnisse des fünften Jahrhunderts erkennen: die grosse Zahl der Aemter, das Loosen um Aemter, das Zusammenwirken von Rath und Volksversammlung u. s. w. Allerdings steht der angebliche Drakon durch seine aristokratische Tendenz in scharfem Gegensatze zu der demokratischen Rechtsgleichheit, deren sich die Athener der Perikleischen und der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_004.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)