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folgenden Zeit rühmten. Aber nicht ununterbrochen hat in Athen während des fünften Jahrhunderts die Demokratie bestanden. Als 411 die Oligarchen sich für kurze Zeit der Herrschaft bemächtigten, legten sie der Neuordnung des Staates einen Entwurf zu Grunde, mit dem die Drakon zugeschriebene Verfassung in allen wesentlichen Punkten übereinstimmt[WS 1]. Es kann keine Frage sein, dass die Oligarchen des Jahres 411 für den falschen Drakon das Modell abgegeben haben.

Ein Irrthum über Drakon kann verzeihlich erscheinen. Da die guten Quellen über seine Zeit wenig boten, ist es verständlich, wie ein Historiker dazu kam, einer unzuverlässigen, aber ausführlichen Quelle zu folgen. Immerhin hat er dabei keinen hervorragenden Scharfblick gezeigt. Einem Thukydides hätte ein solcher Missgriff nie begegnen können. Er würde lieber nichts von Drakon erzählt haben als etwas Verkehrtes. Aber auch für Zeiten, über die gute Quellen vorlagen, sind in der Schrift vom Staatswesen der Athener schlechte benutzt.

Ueber Themistokles gab es zuverlässige Nachrichten, daneben werthlose Anekdoten. Aus zuverlässigen Nachrichten wissen wir, dass Themistokles vor dem Abfalle der Thasier, mithin vor 464, Athen verliess, um nie wiederzukehren. Eine werthlose Anekdote ist es also, wenn in der neugefundenen Quelle erzählt wird, Themistokles habe sich noch 462 in Athen mit Ephialtes vereinigt, um in hinterlistiger Weise den Areopag zu stürzen. Dass der Verfasser eine solche Anekdote erzählt, ohne auch nur einen Zweifel an ihrer Wahrheit zu äussern, kann man nicht als geringfügiges Versehen hinstellen. Es beweist, dass er die Quellen, die ihm zu Gebote standen, entweder überhaupt nicht verglichen, oder dass er den Werth der verschiedenen Quellen nicht richtig zu würdigen gewusst hat.

Denselben Mangel an Kritik wie die Angaben über Themistokles zeigen die über seinen Gegner Aristeides. Dieser soll den Athenern den Rath gegeben haben, vom Lande in die Stadt zu ziehen und statt im Ackerbau ihren Unterhalt in den Besoldungen zu suchen, die sie als Soldaten, Beamte oder Richter erhalten würden. Wie bald die Athener diesen Rath befolgt haben, sagt der Verfasser nicht; dass sie ihn überhaupt befolgten, sagt er ausdrücklich und setzt sich dadurch in directen Widerspruch zu Thukydides, von dem wir wissen, dass die Athener

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ühereinstimmt
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1892, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1892_08_005.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)