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seines väterlichen Verhaltens Luther’s Spott herausgefordert hat.

Passt insoweit das Breve zu den Umständen, so ergeben sich allerdings aus seinem sonstigen Inhalt Anstände, welche seit Ranke bemerkt, aber wohl zu einseitig in den Vordergrund der Beurtheilung gestellt worden sind.

Einmal nicht wegzuleugnende Unregelmässigkeiten, um nicht zu sagen, die Willkür des gesammten Processverfahrens. Aber wie, wenn es dafür eine ausreichende Erklärung gäbe? Hinsichtlich solcher curialer Gepflogenheiten, heisst es nämlich in einer bisher nicht beachteten Stelle eines Schreibens des oft genannten Juristen Scheurl an Luther[1]: „Es ist Recht, dass du verlangst, gehört zu werden; aber bei Rechtsunkundigen, bei denen die verkehrte Ordnung die höchste Ordnung ist, ist es im Fall der Notorietät nicht erforderlich, ordnungsgemäss vorzugehen. Und es liegt in der Hand der Machthaber, zu erklären, was notorisch sei, denn das Recht beruht auf der Macht“ (eigentlich auf den Waffen).

Durch diese für Nichtjuristen wenig schmeichelhafte Stelle ist soviel gewiss, dass der fachmässig gebildete und praktisch erfahrene Zeitgenosse gerade an den Punkten des Breve kein ernstes Bedenken fand, die Luther so vor den Kopf stiessen und Neueren Anlass zum Bestreiten der Echtheit wurden. Scheurl kannte das Aktenstück, auf das ohne Zweifel hier angespielt wird, seit Monaten: er hatte Zeit gehabt, seine Ansicht zu prüfen. Offenbar erschien ihm aus seiner Kenntniss der Verhältnisse heraus die im Breve als Grund für die abgeänderte päpstliche Entschliessung selbstherrlich angenommene Notorietät der neuesten literarischen Sünden Luther’s als hinreichender Anlass zu der in Rom beliebten Nichtachtung der processualischen Frist.

Eine volle Sicherheit der Authentie ist freilich auch durch

  1. Vom 20. December 1518: Si tu petis audiri, dignum est: at apud jure imperitos non oportet in notoriis ordine progredi, ubi praeposterus ordo summus est ordo; et declarare notorium apud potentes consistit, quippe fas est in armis. Scheurl’s Briefbuch, hrsg. von Soden und Knaake II, 72. Hieraus bei Enders, Briefwechsel I, 328. Gewisse Schwierigkeiten in Erklärung dieser Stelle, in der ironische Missachtung gegen den auch sonst in dem Brief schlecht wegkommenden Sylvester Prierias bemerklich ist, betreffen nicht den Punkt, auf den im Text Gewicht gelegt ist.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1893, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1893_10_010.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)