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mit in Betracht zu ziehen seien, so ist ihm dieser Beweis, wie ich gezeigt zu haben glaube, völlig misslungen. In dem selbständigen Theile der Bundesurkunde aber, so argumentirt er weiter, ist ausser nebensächlichen Bestimmungen nur die Verabredung zum Husitenkriege enthalten; also ist diese der eigentliche Zweck des Bündnisses. Das ist aber gar nicht der Fall; der selbständige Theil umfasst die Einleitung und 5 Artikel (1–3 und 9–10); in der Einleitung wird die Husitennoth als der Anlass zum Abschlusse des Vertrages bezeichnet[1], sonst ist davon nur in Artikel 2 die Rede. In den übrigen Paragraphen sind aber gerade die Bestimmungen enthalten, die den Binger Vertrag von allen ähnlichen Bündnissen, insbesondere auch von dem Bopparder Vertrage, so scharf unterscheiden, nämlich das Versprechen, ein angegriffenes Bundesglied gegen Jedermann zu schützen, sobald es vor den Kurfürsten zu Recht zu stehen bereit ist, und die Abmachung, dass nach dem Tode eines Verbündeten dessen Nachfolger in den Bund genommen werden, dieser also eine dauernde Institution sein soll.

Aber es ist sogar direct zu erweisen, dass der Hauptzweck der Verbindung nicht die Husitenbekämpfung gewesen sein kann; denn kurz vor und kurz nach dem Binger Tage haben die Kurfürsten es offen ausgesprochen, dass sie zu einem neuen Husitenzuge sehr wenig Lust hätten. Als nämlich Sigmund 1423 einen Aufruf zum Kriege erliess, theilten die Kurfürsten dies zwar den übrigen Reichsständen mit, fügten aber hinzu, diese möchten sich durch nichts, also auch durch jenen Aufruf nicht, vom Besuche

  1. Lindner, MInstOestG XIII S. 402 legt Gewicht darauf, dass in der Einleitung nur von der durch die Ketzer bedingten Noth, „nicht von sonstigen Missständen im Reiche“ die Rede ist, soweit nämlich die Ziele des Vertrages in der Einleitung bezeichnet werden, während die Pflicht der Kurfürsten für alle Gebrechen des Reiches zu sorgen, dort nur herangezogen wird, um die Berechtigung und Nothwendigkeit, gegen die Ketzer einzuschreiten, zu begründen. Was will aber diese officielle Motivirung bedeuten, wenn der thatsächliche Inhalt des Vertrages, wie ich gezeigt zu haben glaube, darüber hinaus geht? Offenbar ist die Husitengefahr in der Einleitung nur vorgeschoben, um der ganzen Vereinbarung durch die Beziehung zur gemeinsamen Angelegenheit der gesammten Christenheit eine höhere Weihe zu geben. Wenn Lindner ferner betont, die älteste gleichzeitige Rückennotiz sage nur „der ketzerei in Behem halben“, so kann das Urtheil eines mittelalterlichen Kanzleibeamten über die Bedeutung des Vertrages für uns doch wohl nicht massgebend sein.
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_074.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2023)