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Zielen seines Vorgängers, was ist Glück und was ist Schuld in seiner Laufbahn? Speciell ist es ein vor etwas länger als Jahresfrist erschienenes Buch, das zu einem erneuten Versuch der Beantwortung Anlass geboten hat[1]. Die archivalischen Funde Nitti’s, eines bewährten Kenners jener Zeit, haben alle Zweifel, die die Forschung von Ranke bis Baumgarten nicht völlig hatte heben können, beseitigt hinsichtlich des doppelzüngigen Charakters der Staatskunst Leo’s. Es steht fest, dass dieser Papst mit Vorliebe nicht etwa nur mit zwei Gegenparteien zugleich geraume Zeit hindurch zu verhandeln verstanden hat. Nein, er hat es sogar fertig gebracht, mit Rivalen wie Franz von Frankreich und Karl von Spanien gleichzeitig zum Abschluss von Verträgen zu gelangen, deren geheime Ziele, wenigstens im Sinne der beiden Könige, sich ausschliessen mussten.

Einem solchen Meister der Verstellungskunst in die Karten zu blicken, ist allerdings kein leichtes Stück. Ist doch den Handlungen wie den Worten eines Mannes, der es instinktmässig darauf anlegte, unerrathen zu bleiben, gleich schwer der innerste Gedanke abzunehmen. Obendrein hat er wenig Schriftliches im diplomatischen Verkehr selbst entworfen, und das Vorhandene steht eben auch unter dem Zeichen der ihm geläufigen Anschauung, dass man beim Abschliessen mit einer Partei nicht aufhören dürfe, mit der anderen zu verhandeln[2]. Das muss vorsichtiger machen gegenüber den reichlicher fliessenden Briefen und Depeschen seines Vetters und Staatssekretärs, des Cardinals Giulio de’ Medici. Dieser, später als Papst zu seinem Unglück über sein Können hinausgewachsene, Prälat war von der klugen und geschmeidigen Art, die sich vortrefflich zur Führung verwickelter und langwieriger Unterhandlungen eignet. Nach dem Zeugniss Guicciardini’s, welcher den feineren Passionen ergebenen Leo „allzusehr den Geschäften entfremdet“ nennt, müsste man annehmen, dass Giulio „Mitwisser aller seiner Geheimnisse“[3],

  1. F. Nitti, Leone X e la sa politica secondo documenti e carteggi inediti. Firenze 1892.
  2. So berichtet nach Hörensagen die Relation Soriano’s von 1531. (Relazioni degli ambasciatori Veneti ed. da Albèri VII, 290.) Aber die schon angeführten Thatsachen geben ihm Recht.
  3. A. a. O. Blatt 398b und 399a. Unter dem Einfluss dieser Stelle steht vielleicht Ranke, Päpste I, 58 mit der Ansicht, dass Leo sich um das
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_091.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)