Seite:De DZfG 1894 11 093.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Unerlässlich dünkt es mir daher, ehe wir Stellung nehmen zu einigen Hauptergebnissen jenes Verfassers, den Versuch zum tieferen Erfassen der sittlich-politischen Persönlichkeit dieses, auch für uns Deutsche so interessanten, Papstes zu wagen.

Kein Porträt, auch nicht das herrliche Raphael’s im Palazzo Pitti, vermag dem Beschauer die Gesammtindividualität des Mannes zu vergegenwärtigen. Sprechend tritt uns aus dem Rahmen der feine Genusssinn des Originals entgegen, das allgemeine Wohlwollen, die behagliche, ruheliebende Natur, überhaupt die persönliche Liebenswürdigkeit des an sich unschönen Mannes. Aber die Einwirkung des Landes und der Stellung, in die er eingetreten, kann höchstens angedeutet erscheinen, während gar Stärke und Art der politischen Begabung, weil sie in unserem Fall keine naturgewaltige Leidenschaft, sondern mehr eine durch das Leben eingepflanzte Gewohnheit war, der künstlerischen Ausprägung sich entziehen konnte. Und letzteres führt nun zu einer Reihe von Erwägungen, denen ich zur richtigen Beurtheilung Leo’s einen gewissen Werth beimessen möchte.

Der Papst Leo kann vollständig nur verstanden werden aus den Schicksalen und Gewöhnungen des Cardinals Giovanni de’ Medici. Gleich seinen Brüdern Piero und Giuliano hatte unser Giovanni nach dem vorzeitigen Tod des Vaters Lorenzo das wechselnde Schicksal eines buntbewegten Flüchtlingslebens durchmachen müssen. Missverständlich ist die Annahme[1], dass er, ganz anders geartet wie Piero, damals den Schein erstrebt habe, die Macht zu fliehen, sicher, dass sie ihm dadurch um so leichter zufallen werde. Es lässt sich beweisen, dass auch Giovanni Jahre hindurch die wider Florenz gerichteten Umsturzpläne des älteren Prätendenten mit Rath und That, durch Vorstreckung von Mitteln und durch persönliche Theilnahme unterstützt hat, dass er tief verstrickt war in alle Verschwörungen

  1. Mit Unrecht bezieht Villari, Macchiavelli, Deutsche Uebers. II, 120 die Worte Guicciardini’s in den storie fiorentine cap. 32 (opere inedite III, 369) auf den Charakter Giovanni’s, statt auf seine von einer gewissen Zeit an geübte Taktik. Im Weiteren macht er aus Gründen, die von Guicciardini nur erwägungsweise hingestellt werden, Charakterzüge (o perque per le ordinario fussino [Giovanni e Giuliano] di natura piu civile e umano o perque considerassino che i portamenti di Piero non erano stati a proposito).
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_093.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)