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wie Franzosen, vom Boden der Halbinsel auszustossen. Sein Nachfolger, Leo X., der das Errungene selbstverständlich behaupten wollte, sah sich nach Kurzem zu schmerzlichen Verzichten genöthigt, denen er jedoch Klarheit über das allein aus eigener Kraft ihm Erreichbare verdankte. So wurzelecht uns durch die Beweiskraft von Jahrhunderten für damalige Verhältnisse der territoriale Papststaat scheinen möchte, vergessen wir nicht, wie oft er in den letzten Menschenaltern der Aufsaugung durch Mächtigere oder der Auflösung unter gierige Nepoten ausgesetzt gewesen war. Für Leo standen die Dinge so, dass bei jeder starken Veränderung der Gesammtlage der Halbinsel die Existenz des Kirchenstaats oder wenigstens wesentlicher Theile desselben kaum minder bedroht war als die des aufs engste mit ihm verbundenen Florentinischen Staatswesens. Zur Erklärung und Entschuldigung der Haltung Leo’s darf daher gleich hier auf die ungemein heikle Lage hingewiesen werden, in der er sich als weltlicher Herrscher zwischen Spanien-Habsburg auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite erblicken musste. Der Vortheil, dass die Mächte in ihm das Haupt der Kirche zu respectiren hatten, wird ziemlich wettgemacht durch die stete Besorgniss, dass trotzdem erfolgende Einschränkungen des päpstlichen Staates auch seinem Ansehen als oberster Pontifex Eintrag thun könnten. Sollte er sich als kirchliches Oberhaupt solchen Gefahren gegenüber ganz auf geistige Abwehr beschränken, unter Verzicht auf Mittel, die im Treiben der Welt den Zeitgenossen für statthaft galten? War es sicher, dass eine Haltung thatsächlich und nicht bloss mit Worten der Predigt des Friedens geweiht, dass vollkommene Sprödigkeit gegenüber den Anerbietungen der rivalisirenden Kronen die Gefahr beseitigen würde, die vermieden werden musste, die einer Verständigung der Beiden ohne oder auch gegen das weltliche Interesse des Papstes und seines Hauses?

Man muss begreifen, dass von vornherein seine Politik war, keine von beiden Mächten in Italien zu stark werden zu lassen. So lange er die Spanier in Neapel wusste, konnte ihm nichts liegen an der Entfernung der Franzosen aus Mailand, das sie im Anfang seines Pontificats wiedererobert hatten[1].

  1. „Mehr aus Furcht als aus Wahl“ hatte er deshalb sich 1515 der Liga wider Franz I. angeschlossen. Vettori a. a. O. 306; vgl. 313.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_097.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)