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Vorbehaltlich der Prüfung der politischen Schritte im Einzelnen kann alle Abneigung gegen so ungeistliches Gebahren nicht hindern zu begreifen, dass weniger der jeweilige Papst als die Institution des weltlichen Papstthums überhaupt Schuld trug an der damaligen Nothwendigkeit einer Schaukelpolitik zwischen den Mächten. Auch höher begnadeten Naturen ist es in ähnlicher Lage nicht anders ergangen. Man denke z. B. an die unvermeidlichen Windungen des Kurfürsten von Brandenburg zwischen Polen und Schweden im Jahre 1655. Aber freilich gilt es auch dabei, dass es erst der Ton ist, der die Musik macht und nicht die Noten.

Trotz der Vorsicht, mit der in den vorangehenden Betrachtungen versucht ist, die Linien der politischen Haltung Leo’s anzudeuten, ist die Frage doch nicht überflüssig, ob sie nicht an einzelnen Stellen zu bestimmt oder gar irrig gezogen sind. Hat denn dieser Papst thatsächlich ein beherrschendes Interesse gehabt für die Bedeutung des Kirchenstaats?

Das ist’s, was Nitti insbesondere gegenüber Baumgarten[1] im bejahenden Sinn im ersten Abschnitt seines Buches zur Geltung gebracht hat, indem er zu beweisen sucht, dass Leo keineswegs seine Nepoten zu fürstlichen Ehren im grossen Styl, zu königlichen Stellungen, habe befördern wollen.

Nitti’s Ansicht ist jedenfalls die bestbegründete, die über diese Frage bisher vorgetragen worden ist. Seinen Grundanschauungen wird sich schwer widersprechen lassen und dies zugegeben, ist es nicht leicht sich den Folgerungen dieses Schriftstellers zu entziehen.

Nitti macht geltend, dass Leo’s Bemühen, im Jahre 1515 den König von Frankreich zum Verzicht auf seine Neapolitanischen Ansprüche zu drängen, nicht sowohl der Erhöhung seines Bruders Giuliano als der ewig ihn quälenden Sorge gegolten habe, dass der Gebieter Mailands auch der Neapels werden könnte. Nur Parma, Piacenza, Modena und Reggio seien dem Bruder zugedacht gewesen. Ferner sei nicht der Papst, sondern die ehrgeizige Mutter seines Neffen Lorenzo die

  1. Baumgarten hat übrigens in einer Besprechung des Nitti’schen Buches in der Deutschen Literaturzeitung 1893, Nr. 1 eingeräumt, dass er den Einfluss des Familieninteresses auf Leo allzu stark betont haben könnte.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br.: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1894, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1894_11_098.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)